Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Stimme wie von weitem, du mußt mir helfen, Na’ama, hilf mir, bitte. Dafür bin ich hier, sage ich, es braucht Zeit, weißt du, und sie flüstert, ich will, daß du mit ihm sprichst, du sollst ihm klarmachen, daß er mich nicht einfach wegwerfen kann, daß er verantwortlich ist für das, was passiert ist, ich halte es nicht aus ohne ihn, es ist die schwerste Entscheidung meines Lebens, allein schaffe ich das nicht, und ich erkläre, du bist nicht allein, wir sind bei dir, aber sie läßt nicht locker, bitte, Na’ama, ruf ihn an, versuch’s doch wenigstens, ich habe das Gefühl, daß er auf dich hört, und ich denke erstaunt, es ist kaum zu glauben, das Mädchen ist verrückt geworden, sie drängt mich regelrecht in seine Arme. Entschlossen steht sie auf, nimmt ein Blatt von meinem Tisch und schreibt schnell etwas darauf, das ist seine Nummer bei der Arbeit, bitte, versuch’s, sie verläßt sofort das Zimmer, und ich bleibe mit einem weißen Fleck auf dem Tisch zurück, ich trete näher, Micha Bergmann, steht da, und sieben Ziffern flimmern neben dem Namen.
Ich werde nicht anrufen, das ist unüblich, ich muß ihr helfen, stark zu sein, ich darf nicht für sie um Gnade bitten, und trotzdem zieht mich der neue Name hypnotisch an, Micha, ein viel zu heller Name für ihn, ein fremder Name, ich kenne keinen einzigen Micha. Ich nicke, du hast dich in Schwierigkeiten gebracht, Micha, ich sage leise die Nummer vor mich hin, ein böswilliges Ungeborenes bedroht dein Leben, und nun bist du zu Tode erschrocken, und noch während ich vor dem Telefon stehe und innerlich mit mir kämpfe, läutet es. Ich nehme den Hörer auf und erkenne im ersten Moment seine Stimme nicht, die Stimme, die mir am vertrautesten von allen ist, sie ist rauh und düster, mit einem neuen, entschuldigenden Unterton, Na’ama, ich bin’s, sagt er, wie geht es dir?
Wieso habe ich Udi nicht erkannt, es ist, als hätte ich meine eigene Stimme nicht erkannt, ich bin wieder da, sagt er und fügt sofort erklärend hinzu, ich bin von meiner Tour zurück, damit ich ja nicht glauben könnte, er wäre in meine Arme zurückgekehrt, aber ich kann mich gar nicht irren, in meinen Ohren hallen die Verse nach, die ich an Nogas Bett gesprochen habe, deine Sonne wird nicht mehr untergehen und dein Mond nicht mehr den Schein verlieren; denn der Herr wird dein ewiges Licht sein, und die Tage deines Leidens sollen ein Ende haben, wie sehr habe ich damals darum gebetet, seine Stimme zu hören, doch jetzt bin ich so leer wie das alte Schwimmbecken, er wird sich den Hals brechen, wenn er in mich hineinzuspringen versucht.
Wo bist du, frage ich, und er sagt, nicht weit, Awner ist für einen Monat weggefahren und hat mir den Schlüssel für seine Wohnung dagelassen, und ich schlucke erleichtert diese Worte, obwohl mir klar ist, daß es sich nur um eine eingebildete Erleichterung handelt, an jenem Tag ist mir die Wahrheit aufgegangen, und nichts kann sie wegwischen, auch wenn er nicht bei ihr und dem Baby wohnt, gehört er zu ihnen, und er fragt, wann ist Nogas letzte Stunde, ich möchte sie von der Schule abholen, und ich sage, gleich, um Viertel vor zwei, und er sagt, ich bringe sie am Abend nach Hause, in Ordnung? In Ordnung, murmele ich, gut, in Ordnung, und behalte den Hörer in der Hand, obwohl seine Stimme nicht mehr zu hören ist, ich kann mir ihre Freude am Schultor vorstellen, ihre Ungläubigkeit, das Lächeln, das ihren Mund ganz weich werden läßt, die stürmische Umarmung, und ich habe keinen Anteil an ihrer Freude, obwohl ich diesen beiden alles gegeben habe, was ich besaß, fast mein ganzes Leben, und jetzt gehen sie zusammen essen, vielleicht ins Kino, seit Jahren habe ich ihn gebeten, einmal allein mit ihr wegzugehen, ihr ein bißchen Zeit zu widmen, aber ich habe nicht geahnt, daß mein Wunsch auf diese Art in Erfüllung gehen würde.
Mein Kopf sinkt schwer auf den Tisch, ich habe also einen freien Nachmittag, bis heute abend braucht mich niemand, jahrelang haben mich die beiden dringend gebraucht, sie haben mich zwischen sich zerrissen wie einen alten Lumpen, und jetzt bin ich überflüssig, und weil ich mich inzwischen so daran gewöhnt habe, gebraucht zu werden, weiß ich nicht, was ich mit dieser unerwarteten freien Zeit anfangen soll, das ist etwas Neues, das muß ich erst lernen, so wie man eine Fremdsprache lernt, und ich überlege mir, was ich bis zum Abend machen könnte. Mein Blick fällt wieder auf den weißen Zettel, eine helle Wolke auf dem
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