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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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habe.
    Kalte Luftströme ziehen durch mein Bett, streichen zögernd über meine Gliedmaßen, wie nach dem Duschen, wenn das Wasser noch heiß ist, aber die Haut schon die drohende Kälte wahrnimmt, die hinter dem Dampf lauert, so fühle ich zum ersten Mal das mögliche Ende dieses schrecklichen Sommers, und ich stehe auf, um die warme Decke zu suchen, und wieder sehe ich sie vor mir, ihre Augen sind geschlossen, sie ist im Stehen eingeschlafen, beim Aufpassen eingeschlafen, was bewacht sie mit dieser Mischung aus Treue und Nachlässigkeit, Nogi, du bist ja ganz kalt, komm ins Bett, und sie sagt, Papa hat mich nicht lieb. Dir ist kalt, sage ich, du hast nicht gemerkt, daß es heute nacht kalt geworden ist, und sie sagt, ich weiß, daß er mich nicht liebhat, ich ziehe sie zornig zu mir, da kann ich endlich einmal wieder schlafen, und schon muß sie mich stören, was habe ich ihr getan, daß sie mich so quält? Erst dann verstehe ich, was sie gesagt hat, aber ich antworte nicht, weil ich nichts zu sagen weiß, vielleicht hat sie recht, ich habe keine Ahnung, wen er liebt. Er hat kaum mit mir geredet, fährt sie fort, er hat mir kaum zugehört, er hat nur die ganze Zeit auf die Uhr geguckt, als würde jemand auf ihn warten, und ich umarme sie mit gezwungenen Bewegungen, statt einer Welle von Mitleid überschwemmt mich wilder Zorn, Zorn auf sie und auf ihn, ich möchte vor ihnen davonlaufen, vor beiden, ich möchte, daß sie mich in Ruhe lassen, sollen sie doch ihre Probleme ohne mich lösen. Noga, laß mich schlafen, fauche ich, ich kann nicht auch noch für deinen Vater verantwortlich sein, ich habe keine Ahnung, was mit ihm los ist, ich weiß nur, daß ich dich liebhabe, aber als sie wütend schweigt, steigen plötzlich Zweifel in mir auf, ob das stimmt, was er gesagt hat, als er das weiße Hemd zuknöpfte, zur Liebe könnt ihr mich nicht zwingen, und ich drücke mein Gesicht ins Kissen, ich bin es leid, zu lieben, ich gebe es zu, ich will nur selbst geliebt werden, ohne daß jemand etwas dafür von mir fordert.
    Aber am Morgen, als ich sie neben mir schlafend vorfinde, streichle ich ihre salzigen Wangen, auf denen ihre nächtlichen Tränen durchsichtige Spuren hinterlassen haben, und da macht sie die von langen Wimpern eingefaßten Augen auf, ich bin seine Tochter, sagt sie, er muß mich liebhaben, und ich unterbreche sie, wir müssen aufstehen, Nogi, es ist schon spät, denk nicht die ganze Zeit daran, denk lieber an etwas anderes, und als sie von mir wegrückt, die Lippen enttäuscht zusammengezogen, atme ich erleichtert auf, sie genießt es so sehr, mir zu erzählen, was für ein armes Kind sie ist, aber ich muß sie von mir wegschieben, damit ich sie lieben kann, wenn ich mir ihre Schmerzen auflade, schwächt mich das, und mir bleibt keine Kraft, sie zu lieben, nur eine Handvoll Mitleid. Wir stehen schon an der Tür, als er anruft, du bist noch zu Hause, fragt er mit trockener Stimme, als hätten wir uns schon immer und ewig morgens am Telefon unterhalten, als hätten wir nicht Nacht um Nacht nebeneinander geschlafen, und ich sage, ja, ich bin noch hier, obwohl ich schon im Weggehen war, ich gebe Noga ein Zeichen, sie soll zu Fuß gehen, ich habe das Gefühl, er möchte zurückkommen, mit triumphierender Freude gehe ich durch die Zimmer, lächle die Gegenstände an, die mich in meiner Schmach gesehen haben, wenn schon Rückkehr, dann zu einem ganz anderen Leben, werde ich ihm sagen, zu einem Leben von unabhängigen Erwachsenen, die sich für dieses Leben entschieden haben, nicht zu dem Leben erschrockener Kinder, die voller Haß aneinander hängen, aber als er hereinkommt, spüre ich die scharfen Nägel des Verlusts in meinem Fleisch, er hat dir mal gehört, jetzt gehört er dir nicht mehr, weinet nicht über den Toten, im Jeanshemd und den dicken Kordhosen steht er vor mir, mit steinernem Gesicht, ohne jedes Mitleid. Ich will ein paar Sachen abholen, sagt er, ich fahre weg, und ich verfluche ihn mit gierigen Lippen, wieder bin ich besiegt worden, immer war er wagemutiger und grausamer als ich, ich habe gedacht, ich hätte dich mit einem einzigen glücklichen Tag besiegt, jetzt wirst du mich für Wochen erniedrigen, ich habe gedacht, ich könnte Bedingungen stellen, jetzt stellt sich heraus, daß ich noch nicht einmal jemanden habe, dem ich sie vortragen könnte. Ich habe das Gefühl, daß mein Gesicht zusammenfällt, die Erdanziehung wirkt ungeheuer, sie zieht meine Mundwinkel nach unten, meine Schultern, meine

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