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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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einfachsten Lösungen anstrebt, und das nennt er Veränderung? Wieder richtet er sich nach dem, was ein anderer sagt, eigentlich ist er sehr schwach, mit der Kraft seiner Schwäche hat er mich jahrelang beherrscht, aber ich darf nichts sagen, ich kann ihn nicht retten, und er kann mich nicht retten, jeder hat sein eigenes Schicksal, obwohl wir viele Jahre in einer Wohnung gelebt haben, mit unserem gemeinsamen Namen und unserer gemeinsamen Tochter, und aus unendlicher Ferne strecke ich die Hand aus und streiche ihm über die Haare, ein Gefühl überkommt mich, als wäre er mein Sohn, ich meine eigene Tochter, nur so kann ich ihn lieben, und aus irgendeinem Grund ziehe ich es vor, ihn zu lieben, und für einen Moment sehe ich die andere Seite der Medaille, je weiter er flieht, um so weiter entfernt er sich von einer Heilung, aber ich habe keine Möglichkeit, ihn zurückzuhalten, er ist wie ein mondsüchtiger Junge, der über eine dünne Stange balanciert, wenn ich versuche, ihm zu helfen, wird er herunterfallen. Und ich mustere ihn neugierig, er ist nicht mehr mein Mann, er ist nicht Nogas Vater, er ist ein nicht mehr ganz junger, nicht sehr glücklicher Mann, der sein Leben besser in den Griff bekommen möchte, die Haare hängen ihm dünn und glatt um den Kopf, seine Augen liegen dunkel in ihren Höhlen, die Lippen verzerrt, sogar seine hohen Wangenknochen, um die herum sein ganzes Gesicht geordnet ist, scheinen sich unter der Haut gesenkt zu haben, die Hände umklammern die Plastiktüte mit den Strümpfen, der Wollmütze und der blauen Windjacke, als wäre das sein einziger Besitz, und ich betrachte seine trockenen Hände und sehe, wie sie auf dem Bauch der kleinen Noga liegen, die kleinen Rippen kitzeln, und sie erstickt fast vor Vergnügen, und ich schimpfe mit ihm, laß sie, das ist gefährlich, zu sehr zu lachen. Was ist mit dem Baby, frage ich ruhig, er antwortet ebenso ruhig, ich gebe mir Mühe, und lächelt entschuldigend, sie ist so klein, und ich senke den Kopf, wie leicht ihm das Geben fällt, wenn er nicht dazu verpflichtet ist, mein Widerstand schmilzt, sie ist so klein, sie hat keinen vorwurfsvollen Blick, man muß vor ihren Augen nicht ans Ende der Welt fliehen, nur mit einem fremden Mann kann man leicht Liebe machen, nur ein fremdes Baby kann man leicht aufziehen, und was ist mit all den Jahren, in denen wir das Gegenteil glaubten?
    Kaltblütig deute ich seine Worte, noch nie habe ich das gekonnt, so sehr war ich damit beschäftigt, mich zu verteidigen, seine Worte auf mich zu beziehen, und plötzlich kann ich es, nur ein paar Monate zu spät, es nützt schon nichts mehr, jedenfalls uns beiden nicht, ich betrachte die Streifen seiner Kordhose, und ich erinnere mich daran, wie wir sie im letzten Winter gekauft haben, an seinem Geburtstag, zu dritt sind wir zwischen den Kleiderständern herumgelaufen, und dann fällt mir ein, daß Noga bald Geburtstag hat, Ende des Monats wird sie zehn, ich möchte ihn daran erinnern, damit er ihr schreibt oder sie anruft, um ihr zu gratulieren, doch aus meiner Kehle kommt ein trockenes Husten, das geht mich überhaupt nichts an, das ist eine Sache zwischen ihm und ihr. Hast du was gesagt, fragt er, und ich flüstere, nichts, ich wünsche dir eine gute Reise, schnell streiche ich über seine Wange, er riecht ein wenig nach Rauch, nach einem einsamen Brand in der Wüste, und er umklammert seine Tüte, schenkt mir ein schiefes Lächeln, und als ich ihn die Treppe hinuntergehen sehe, denke ich, wie ist es möglich, daß das ganze Leben ein Machtkampf zwischen den Menschen ist, und wenn einer sich aus dem Kampf zurückzieht, mit zaghafter Stimme, als habe er nie ein bestimmtes Ziel gehabt, ist alles zu Ende, und ich habe immer geglaubt, der Kampf wäre stärker als ich, daß er nach uns weiter andauern würde, daß wir für immer Söldner in einer nie endenden Schlacht wären.
    An der Ecke ist noch sein schmaler Rücken zu sehen, er scheint innezuhalten, einen Moment zu zögern, aber ich rufe ihn nicht, wir befinden uns noch in derselben Straße, aber unsere Wege haben sich für immer getrennt, ich kämpfe nicht um ihn, ich lasse los, wie der Himmel losläßt, erstaunt schaue ich den dahinschwebenden Wolken nach, so viele Jahre habe ich versucht, unsere Risse zu flicken, ich habe sie mit ungeschickten, zitternden Fingern geflickt, mit groben Fäden, so daß die Risse nur noch tiefer wurden, und jetzt wird mir klar, daß dies alles nur dazu diente, zu lernen, mit den Mängeln

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