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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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zu leben, sich mit dem Unvollkommenen anzufreunden, nichts zu beschönigen, sich von oben über die Langeweile des Lebens zu beugen und Vergnügen daran zu finden, denn was bleibt schon nach dem Verzicht auf den Kampf, ein Verzicht, der schwerer zu sein scheint als der Verzicht auf die Liebe, nur eine Trostlosigkeit, die einen in Angst und Schrecken versetzt, und jeder Versuch, diese Trostlosigkeit nachts zu mildern, verstärkt sie nur noch am Morgen, damit muß man leben, und als er um die Ecke verschwunden ist, bleibt mir für einen Moment die Luft weg, es ist zu Ende, kaum zu glauben, daß es zu Ende ist, bevor unser Leben zu Ende gegangen ist, aber es ist passiert, aber daß es so passiert ist, heißt noch nicht, daß es so hat passieren müssen, nicht einmal damit kann man sich trösten, wahrscheinlich hätte es verhindert werden können, wie die meisten Katastrophen, doch jetzt ist es zu spät.
    Sie wartet vor dem Heim auf mich, am Tor, ihr nach unten gesenkter Bauch drückt sich gegen die Eisenstäbe, Na’ama, ruft sie mir entgegen, wie hast du das gemacht? Erschrocken frage ich, wie habe ich was gemacht, und sie sagt, wie hast du es geschafft, ihn zu überreden, und ich frage zögernd, überreden wozu, und sie sagt, mit mir zusammenzusein, mir zu helfen, er hat heute morgen angerufen und versprochen, mich später zu besuchen. Ich seufze erleichtert, schön, Ja’el, aber erwarte nicht zuviel davon, du wirst nie das von ihm bekommen, was du willst, du wirst dich immer nur auf dich selbst verlassen müssen, und sie sagt, das stimmt nicht, ich glaube, er wird sich ändern, und ich mache das Tor auf und sage, nein, du wirst ihn nicht ändern, du kannst nur dich selbst ändern, und auch das gelingt kaum, und sie betrachtet mich enttäuscht, er wird also nicht mit mir zusammensein? Er wird das Kind nicht mit mir zusammen aufziehen? Und ich sage, nein, er wird manchmal kommen, um dich zu besuchen, und er wird dir so gut gefallen, daß du es nicht schaffen wirst, dich in einen anderen zu verlieben, aber auch das wird nur vorübergehend sein, du mußt dein Leben ohne ihn planen. Aber er wird doch kommen, wenn das Kind Geburtstag hat, fragt sie, und ich denke an Nogas Geburtstag, vielleicht hätte ich ihn doch daran erinnern sollen, doch was nützt das schon, was er nicht freiwillig zu geben bereit ist, soll er lieber für sich behalten, ich kauere mich neben Ja’el auf die Stufe, diese verdammten Geburtstage, wer braucht sie überhaupt, aber auch wenn sie das Kind weggibt, werden diese Tage sie verfolgen, was wird sie jedes Jahr an seinem Geburtstag machen, einen Kuchen backen und ihn selbst essen, einen Bärenkuchen, einen Hasenkuchen, einen Kuchenzug mit Schokoladenglasur, sie wird selbst die Kerzen ausblasen, sie wird langsam mit ihm zusammen älter werden, in verschiedenen Häusern, in verschiedenen Städten.
    Den ganzen Morgen strampelt es schon wie verrückt, sagt sie und legt die Hand auf den Bauch, mein Baby will mir etwas sagen, und ich verstehe nicht, was, wenn ich nur wüßte, was gut für es ist, und ich sage sehr leise, damit niemand meine ketzerischen Worte hört, ich kann selbst nicht glauben, daß sie aus meinem Mund kommen, du weißt doch, was gut für es ist, du mußt stark sein und das auch zugeben, es hat überhaupt nichts mit Micha zu tun, nur mit dir und deinem Baby, ich warne dich, wenn du es weggibst, wirst du dich nie davon erholen, und sie seufzt, ich denke so viel darüber nach und komme zu keinem Entschluß, ein Glück, daß ich noch zwei Wochen habe, um es mir zu überlegen, doch als wir aufstehen, stößt sie einen lauten, tiefen Schrei aus, vermutlich hat sie das Ungeborene in ihrem Leib getreten. Schau, sagt sie, und blickt entsetzt an sich hinab.
    Das Wasser läuft an ihr herunter, als hätte sie in ihren Kleidern gebadet, sie steht da und weint, ich bringe sie schnell hinauf ins Heim, die Fruchtblase ist geplatzt, sage ich keuchend zu Annat, ich fahre gleich mit ihr zum Krankenhaus, und Annat packt schnell die Tasche, bist du wirklich sicher, daß du dabeisein willst, fragt sie, im allgemeinen ist es ihre Aufgabe, und ich sage, ja, kein Problem, und versuche, mein regelwidriges brennendes Interesse zu verbergen. Muß man jemanden anrufen, fragt sie, und ich wühle in meiner Tasche und ziehe den weißen Zettel heraus, sag ihm Bescheid, sage ich, noch immer keuchend, ich bin so aufgeregt, als wäre ich es selbst, die auf einmal eine neue Familie gründet, jenseits meiner eigenen

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