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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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als er verschwindet, mit zögernden Schritten, ist der Korridor leer, ich setze mich auf einen wackligen Plastikstuhl, ich meine, das Gewirr ihrer Stimmen zu hören, ihre Schmerzensschreie, seine Stimme, die sie zu beruhigen versucht, und dazwischen das Echo der schnellen Herztöne des Kindes, wie ein himmlisches Orakel, man spricht in der Weite des Raums Fragen aus, wer wird dieses Kind aufziehen, wer wird seinen Wagen schieben, wer wird nachts aufstehen, wenn es weint, ich bestimmt nicht, was hänge ich mich an ihr Leben, ich habe das meinige getan, ich habe ihn hierhergebracht, und jetzt kann ich gehen, jetzt muß ich gehen. Ich versuche aufzustehen, aber Müdigkeit sinkt auf mich, als hätte ich seit Jahren nicht geschlafen, ich lehne mich zurück, an die Wand, und mache die Augen zu. Die Nähe des neuen Lebens, der neuen Familie, die dort in Schmerzen vereint ist, versetzt mich in eine kindliche Ruhe, als würde jemand meinen Schlaf bewachen, ich, die ich Nacht für Nacht in meinem Bett mit dem Einschlafen kämpfe, versinke hier auf dem Plastikstuhl, in diesem lauten Korridor, in einen tiefen Schlaf, trotz der Gesprächsfetzen und der Schreie, die an mein Ohr dringen, trotz der eiligen Schritte und der Freudenrufe, trotz des Weinens und des Stöhnens, und nichts stört mich so, wie mich früher Udis Atemzüge neben mir gestört haben, oder das Licht seiner Leselampe, ich fühle mich wie ein kleines Mädchen in einem großen Haus, ein nachgeborenes, verwöhntes Kind mit vielen Brüdern und Schwestern und mit vielen Müttern und Vätern, und alle sind gierig und lebendig und freundlich und gut. Da kommt einer meiner geliebten Brüder und streichelt mir die Haare, er legt seine Lippen auf meine und schiebt mir eine süße Marzipanzunge in den Mund, verteilt ihre Süße in meiner Mundhöhle, und ich lutsche und sauge langsam an der Zunge, ganz langsam, damit sie nicht so schnell zu Ende ist, und ich spüre, wie mein Körper sich öffnet, hier auf dem Stuhl, vor aller Augen, hätte ich mit ihm geschlafen, wir sind doch alle eine Familie, aber Schritte nähern sich uns, er löst seinen Mund von meinen feuchten Lippen, setzt sich neben mich und senkt den Kopf, und ich lege meine Hand auf seine Schulter, wie geht es ihr, frage ich, als handelte es sich um unsere gemeinsame Tochter, und er sagt, es geht ihr gut, es ist ein Junge.
    Herzlichen Glückwunsch, sage ich aufgeregt, und er wirft mir einen zweifelnden Blick zu und seufzt, du bist wirklich stur, und ich frage, wieviel wiegt er, wem sieht er ähnlich, und er kichert, er sieht mir ähnlich, aber er wiegt ein bißchen weniger, wenigstens vorläufig, und ich lache glücklich, alle Schranken sind gebrochen, von dem Moment an, als meine kleine, geschlossene Familie zerbrach, scheint mich alles anzugehen, alles gehört mir, dieses Baby ist auch mein Baby, dieser Mann ist auch mein Mann, die junge Frau dort im Zimmer gehört mir, und ich bin bereit, auch Noga in diese Gemeinschaft einzubringen, von mir aus kann sie auch ihm gehören, so erleichtert man das Leid der Welt, so heilt man die Wunden, nur meinetwegen hat er ihr bei der Geburt beigestanden, wie kann er auf das Kind verzichten, bei dessen Geburt er anwesend war. Einen Moment lang steigen Zweifel in mir auf, was würde Chawa zu diesen Neuigkeiten sagen, doch sofort dränge ich sie aus meinen Gedanken, wer kein Leid kennt, weiß nicht, wie man es erleichtert, schwerfällig stehe ich auf, meine Finger auf seinem Kopf, sie fahren ihm durch die Haare, eine angenehme Nähe, ich gehe hinein, zu ihr und dem Kind, sage ich, und er lächelt, nur bleib nicht für alle Ewigkeit dort, wir haben noch viel Arbeit vor uns, und ich frage verwundert, was für eine Arbeit? Er sagt, das Haus, das ich für dich baue, wir haben den Plan noch nicht ganz durch, und das Lächeln, das ich ihm schenke, begleitet mich in das Zimmer, ein glückliches Lächeln, erstaunt über die eigene Bereitschaft zum Glück.
    Herzlichen Glückwunsch, Ja’eli, ich beuge mich über sie und küsse sie, ein feuchter Geruch steigt von ihr auf, der lebendige Geruch von Blut aus der Tiefe ihres weichen geschundenen Unterleibs, er erinnert mich an den Geruch, der von Sohara ausging, ein Geruch, der jetzt Udi begleiten wird. Sie wirft mir einen müden Blick zu, ist dein Mann zurückgekommen, fragt sie, und ich sage, nein, wieso denn, und sie sagt, nur so, du siehst so strahlend aus. Ich freue mich einfach für dich, sage ich schnell, ich freue mich, daß alles

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