Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
habe, und in diesem Moment kommt ein Arzt herein und bittet mich, den Raum zu verlassen, ich ziehe einen Zettel aus der Tasche und schreibe meine Telefonnummer zu Hause drauf, ruf mich an, wenn du etwas brauchst, sage ich, ich besuche dich heute abend oder morgen noch mal.
Schnell verlasse ich den Raum, ich sehe ihn am Rand des Korridors stehen, mit einer Tasse Kaffee in der Hand, verdammt, flucht er, ich habe mich verbrannt, sie servieren den Kaffee in Plastikbechern, die einem in der Hand schmelzen, ich strecke die Hand aus, wie in einer seltsamen Zeremonie reicht er mir den heißen Becher, ich genieße die plötzliche Wärme, die mich an die Fahrt hierher erinnert, diese schreckliche, diese feierliche Fahrt, ich trinke einen Schluck, und er sagt, laß das Zeug, komm, gehen wir einen richtigen Kaffee trinken, ich betrachte ihn mit kühlem Blick, ich habe keine Zeit, Micha, ich muß zur Arbeit zurück, es ist schon fast Mittagszeit, das Urteil, das sie über ihn gesprochen hat, tropft weich und eklig von seinem Kopf wie Taubendreck. Wir haben uns noch nicht über die Situation geeinigt, versucht er es noch einmal, schenk mir eine Stunde von deiner Zeit, für das Baby, und ich gebe nach, gehe schweigend neben ihm her, hin- und hergerissen zwischen ihr und ihm, verwirrt folge ich ihm wieder in meinem Auto, so schnell ist bereits die Harmonie in meiner neuen Familie geplatzt. Es sieht aus, als hätte ich ihn verloren, und ich schwanke zwischen Trauer und Erleichterung, aber an der Kreuzung wartet er auf mich, er winkt mir zu und wird sofort von einer völlig neuen Straße verschluckt, die aussieht, als sei sie gerade erst angelegt worden, Asphaltteppiche erstrecken sich vor uns, ein alter Mann mit einem Farbeimer in der Hand malt mit großem Eifer die weißen Striche eines Zebrastreifens. Wo sind wir, noch nie bin ich hier gewesen, auf beiden Seiten der Straße werden blasse Häuser gebaut, einige von ihnen tragen schon Mützen aus roten Ziegeln, aber die meisten sind barhäuptig, mit aufgerissenen Augen, kahle Rohbauten, er ist verrückt geworden, warum bringt er mich zu diesem nackten, schattenlosen Baugelände, nirgendwo ein Baum, nur umgegrabene, besiegte Erde, Gerüste auf Gerüsten, riesige Kräne, und drum herum felsige Hügel, die darauf warten, daß sie an die Reihe kommen.
An der Ecke einer noch nicht geteerten Straße bleibt er stehen, neben einem halbfertigen Gebäude, ich kurble das Fenster auf und frage, ist das eine Entführung, und er lacht, so etwas Ähnliches, und er zieht mich aus dem Auto, zieht mich hinter sich her auf das Gebäude zu, ein riesiger Hund kommt mit lautem Gebell von hinten, und ich weiche zurück, ich krümme mich bereits jetzt vor Schmerzen wegen meines Knöchels, in den er gleich beißen wird, es geschieht dir ganz recht, sage ich mir, es geschieht dir ganz recht, aber blitzschnell streckt er sich vor Michas Füßen aus, gierig danach, gestreichelt zu werden. Beruhige dich, Elijahu, sagt er und wirft mir einen schrägen Blick zu, er genießt es, zu demonstrieren, daß er die Situation beherrscht, wie kann man einen Hund bloß Elijahu nennen, ich trete hinter ihm in das noch ungestrichene Treppenhaus, schmale Bretter führen die Stufen hinauf, und wir halten uns an Seilen, die sich nach einiger Zeit in Geländer verwandeln werden, und einen Moment lang bin ich bereit, zu glauben, daß wir ein junges Paar sind, das die Baustelle seiner neuen Wohnung besichtigt und sich um jede einzelne Fliese viele Gedanken macht. Am Ende der Treppe ist eine prächtige Tür, er nimmt ein Schlüsselbund aus der Tasche, dreht einen Schlüssel im Schloß und macht die Tür weit auf. Erstaunt schaue ich mich um, hier, mitten in dieser Einöde, steht ein prächtiges, ein perfektes Puppenhaus, wunderbar eingerichtet, auf dem Wohnzimmertisch steht sogar eine Schale mit roten Äpfeln. Was ist das, frage ich, wer wohnt hier, du? Er lacht, lebst du auf dem Mond, das ist eine Musterwohnung, hast du noch nie eine Musterwohnung gesehen? Ich schüttle den Kopf und wandere in den Zimmern umher, die mir ihre Schönheit zeigen, hier ist Nogas Zimmer und da das Schlafzimmer, daneben noch ein möbliertes Kinderzimmer, für wen soll das sein, ich habe kein Kind für dieses Zimmer, und plötzlich bin ich deprimiert, die Anwesenheit des Kindes, das nie geboren wurde, drückt auf meine Seele, was tue ich in dieser perfekten Wohnung, während ich so weit von jeder Art der Perfektion entfernt bin, ich kehre in den Salon
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