Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
gutgegangen ist, und sie schluchzt, es war furchtbar, ich habe gedacht, ich muß sterben, es war schlimmer, als ich es mir vorgestellt habe, und ich streichle ihren Arm, zu dem der druchsichtige Plastikschlauch der Infusionsflasche führt, aber es war kurz, sage ich, kaum zwei Stunden, manchmal dauert es ganze Tage, weißt du. Vielleicht ist es leichter auszuhalten, wenn man das Kind will, sagt sie leise, für mich war das wirklich überflüssig, und ich schaue mich um, wo ist der Kleine, ich muß ihn sehen, und sie sagt, sie haben ihn für irgendeine Untersuchung mitgenommen, er kommt gleich wieder. Hast du ihn schon gestillt, frage ich begeistert und werfe einen Blick auf ihren Brustansatz, der unter dem Morgenmantel herauslugt, und sie sagt, nein, nicht richtig, das ist nichts für mich, und legt schützend ihre Hand auf die Brust. Am Anfang ist es schwer, sage ich, aber nach ein paar Tagen gewöhnt man sich daran, du mußt es wenigstens probieren, und sie seufzt, ihre Augen sind noch rot von der Anstrengung, ihr Gesicht rosig und weich, genau wie der Morgenmantel, den sie trägt, sie erinnert mich an eine Blume, die ich einmal gesehen habe, eine Blume, die aussah wie ein Mensch.
Aber woher soll ich wissen, ob dies der Anfang oder das Ende ist, bricht es plötzlich aus ihr heraus, ich bin überhaupt nicht sicher, ob er noch ein paar Tage bei mir bleibt, ich weiß nicht, ob ich mich dafür entscheiden soll, ihn zu stillen, oder ob ich es besser bleiben lasse, verstehst du? Ich habe noch nicht beschlossen, ob ich ihn überhaupt behalte, sagt sie, und ich erschrecke, sie wird mir nicht meine neue Familie kaputtmachen, ich streiche mit sicherer Hand die kleinen Fragezeichen, die zu setzen ich ausgebildet worden bin, und sage in nachdrücklichem, fast zwingendem Ton, was redest du da, ich habe geglaubt, es wäre jetzt alles klar, Micha war bei der Geburt dabei, er wird der Vater des Kindes sein, auch wenn er nicht bei euch lebt, wird er doch finanziell für euch sorgen, und ich werde dir auch helfen, du wirst nicht allein sein, meine Tochter kann manchmal auf ihn aufpassen, auch deine Eltern werden sich schließlich an den Gedanken gewöhnen, es wird schwer sein, aber glaub mir, es wäre viel schwerer, den Kleinen wegzugeben, die Sache würde dich dein Leben lang verfolgen. Ich weiß nicht, schluchzt sie, ich kenne ihn noch nicht, ich würde ihn im Babyzimmer noch nicht mal erkennen, ich kann morgen weggehen, als wäre nichts gewesen, ein bißchen Diät, und das war’s, ich kann meine Ausbildung fortsetzen und die Sache vergessen, und in ein paar Jahren, wenn die Umstände passender sind, kann ich eine richtige Familie gründen, ich habe jetzt keine Kraft, ein Kind aufzuziehen, es paßt mir nicht. Ich bleibe stur, ich kann mich einfach nicht beherrschen, mir ist klar, daß ich hier den schlimmsten Fehler verhindern muß, es kommt dir jetzt nur so vor, als hättest du keine Kraft, sage ich, du bist noch geschwächt von der Geburt, du wirst schon sehen, das Baby gibt dir Kraft, du wirst deine Ausbildung fortsetzen können, du wirst zurechtkommen, bedenke die Alternative, stell dir vor, daß jedes Baby, das du auf der Straße siehst, deines sein kann, und später jeder kleine Junge, jeder junge Mann, es wird dich bis an dein Lebensende verfolgen, und wenn du eine Familie gründest, wird es dir noch mehr Schmerzen bereiten, denn dann wirst du verstehen, worauf du verzichtet hast, und du wirst es dir nicht verzeihen können, und wenn du Micha siehst, wird euch jedesmal der Gedanke an euer Kind quälen, das ihr hättet lieben können.
Ich habe nicht vor, Micha weiterhin zu sehen, verkündet sie mit Nachdruck, und ich werde blaß, warum denn nicht, schließlich ist er doch gekommen, um dir während der Geburt beizustehen, wie du es gewollt hast, ich bin nicht bereit, auf meine Errungenschaft zu verzichten, und sie sagt, ausgerechnet hier sind mir die Augen aufgegangen, ich habe gesehen, daß er sich vor mir ekelt, sein ganzes Wesen lehnt mich ab, immer habe ich gedacht, bei ihm sei es schwer, zu wissen, was er wirklich fühlt, aber heute habe ich verstanden, daß er einfach nicht fähig ist, etwas zu fühlen, er will sich nur amüsieren, er war nicht wirklich hier bei mir, er hat nur gespielt, ich habe genug von ihm. Ich höre ihr erstaunt zu, mir ist, als hörte ich die Beurteilung meines Sohnes bei einer Elternversammlung, eine ernste Warnung, die auch mich bedroht, während ich noch seinen Marzipangeschmack im Mund
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