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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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unser Rauschen wird ohne Zuhörer bleiben, es wird durch die offenen Fenster auf die Straße treiben und sich in den Stimmen der Familien auflösen, die sich für die Nacht fertig machen, aber niemand wird es hören.
    Dieser Abend ist meine letzte Chance, ihr Leben ohne mich mit ihnen zu teilen, ihnen heimlich zuzuschauen, so werden sie an ihren festen Besuchstagen nachmittags zusammen spielen, montags und donnerstags oder sonntags und mittwochs, das haben wir noch nicht ausgemacht, so werden sie zu Abend essen, einander am Tisch gegenüber, in einer anderen Wohnung, und er wird sich nicht die Mühe machen, die Gurke für ihn zu schälen, so wie ich es tue, und er wird nicht, so wie ich, in braunen Ringen die Brotrinde abschneiden, gemeinsam werden sie beschließen, auf das Bad und das Zähneputzen zu verzichten, so wie jetzt, er wird ihm die schmutzigen Sachen neben das Bett legen, damit er sie am nächsten Tag noch einmal anzieht, aber die Geschichte zum Einschlafen wird großzügig lang sein, es wird sein, als wäre ich zu einem archäologischen Kongress gefahren, ich brauche nicht zu fürchten, dass er einen Ausbruch bekommt, so wie in meiner Anwesenheit, oder dass er Gili mit lauten Worten verletzt, ohne mich strengt er sich immer viel mehr an, und Gili gibt sich solche Mühe, ihm zu gefallen, schließlich ist er im Moment seine einzige Stütze. Von meinem Platz auf dem Sofa im dunklen Wohnzimmer aus höre ich, wie sie die Kuscheltier-Familien schlafen legen, den Löwen und die Löwin und ihr Junges, den Tiger und die Tigerin und ihr Junges, ob Gili den bitteren Geruch bemerkt, der an ihnen klebt? Und ich höre, wie Amnon verkündet, schau, da ist auch Teddy Scotland, eine hastige Familienvereinigung auf dem schmalen Bett, auf dem ich an diesem Morgen lag, für alle Ewigkeit Abschied nahm von seinem Körper, aber dieser Körper, der mich jetzt so abstößt, wird von Gili geliebt, ich höre, wie er sich an ihn schmiegt und in seinen Armen vor Vergnügen schnurrt, und da ist wieder diese Unvereinbarkeit, die so wehtut wie der Knöchel, und ich liege wie erstarrt da, wage nicht, das Bein zu bewegen, versuche, mich an diese Kompliziertheit zu gewöhnen, die zu einem Teil meines Lebens werden wird, ich werde meinen Widerwillen ebenso aushalten müssen wie Gilis Liebe zum Gegenstand meines Widerwillens, ich werde gezwungen sein, Amnon als den geliebten Vater meines Sohnes zu akzeptieren und ihn trotzdem von mir fern zu halten, und ich habe das Gefühl, als müsste ich mich dafür entweder verdoppeln oder teilen, und diese neue Aufgabe ist so schwer, dass sich ein angstvoller Schlaf auf mich senkt, denn noch habe ich alles in der Hand und kann trotzdem nichts ändern, denn dieses vertraute familiäre Rauschen, vertrauter als alles andere, wird schwächer und schwächer gegenüber dem Jubel des neuen Lebens, gegenüber den fröhlichen starken Klängen, die von ihm ausgehen wie von einem Ballsaal im Bauch eines Schiffes.
    Zitternd vor Kälte, wache ich mitten in der Nacht auf, und vor meinen Augen fließt ein Strom, grau und trotzdem aufwühlend, immer wird mich der Anblick eines Flusses aufwühlen, der Anblick lebendig fließenden Wassers. In die europäische Hafenstadt, in die ich anlässlich des letzten Kongresses gefahren bin, nahm ich das Echo von wütenden Sätzen mit, die mir viel zu oft entgegengeschleudert wurden, um noch eine Bedeutung zu haben, hör auf, mir zu drohen, du bedrohst nur dich selbst, wer bist du überhaupt, ich habe die Nase voll von deinen Klagen, ich habe genug von dir, merk dir, dass ich nicht bereit bin, so weiterzumachen, ich werde einfach aufstehen und gehen, diesmal meine ich es ernst. Vor dem breiten Fenster des eleganten Hotels war der Fluss zu sehen, eine riesige Eisenbrücke, die sich über ihn spannte, und daneben noch eine Brücke, kleiner als die erste, wie ein ungenaues Spiegelbild, und über beide Brücken floss ein erbarmungsloser Verkehr, Fahrzeuge in wildem Tempo, Straßenbahnen, die einen Arm nach oben streckten, zerrissen das Spinnennetz der Hochspannungsleitungen, und auf der anderen Seite des Flusses die bunten Fassaden von Häusern, schmal und zerbrechlich, und auf dem Fluss schwammen Schiffe, als schwebten sie über dem Wasser. Wurde dort der Entschluss geboren, plötzlich, aber seit langem vorhersehbar, ist dort das Urteil gefallen, angesichts dieses Flusses, der mit solch überraschender Leichtigkeit die Last der Schiffe trug? Die Stimmen des letzten Streits vor meiner

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