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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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ist alles, was ich jetzt brauche, er streckt mir die Hand hin, und ich versuche, ihn zu mir zu ziehen, aber er ist stärker als ich, es gelingt ihm, mich gegen meinen Willen auf die Beine zu ziehen, geh jetzt, Ella, geh nach Hause, wir haben keine Chance mehr, zwischen uns ist es tot, tot für immer.
    Ist es wegen Ofra, wage ich zu fragen, eine Frage, die nicht in meiner vorbereiteten, edlen Rede enthalten war, und er schaut mich verächtlich an, wieso denn das, Ella, ich bin nicht wie du, ich suche nicht sofort nach Ersatz, und ich murmle, was meinst du, ein verschwommenes Bild schießt mir durch den Kopf, glühende Sonnenstrahlen auf der Fensterbank, Gabis brennender Geruch, seine Zunge, die rau ist wie die einer Katze, falls du etwas von deinem Freund gehört hast, dann merke dir, dass alles gelogen ist, sage ich schnell, er hat in all den Jahren versucht, einen Keil zwischen uns zu treiben, und er sagt, ich habe kein Interesse, darüber zu sprechen, ich bitte dich, jetzt zu gehen, bevor ich dir Dinge sage, die mir später Leid tun werden.
    Lass mich Gili noch einen Kuss geben, bitte ich, und er verweigert es mir, auf keinen Fall, ich möchte nicht, dass er aufwacht und noch einmal anfängt, Probleme zu machen, ich bringe ihn morgen Abend zu dir zurück, du musst dich bis dahin gefangen haben, es ist nicht gut, wenn er dich so sieht, und an der Tür schmiege ich mich wieder an ihn, diesmal gibt er nach und legt die Arme um mich, sei stark, sagt er mit einer warmen, ermunternden Stimme, alles wird gut, du wirst schon sehen, ich kenne dich, du erschrickst schnell, aber du erholst dich auch schnell wieder, als ob er der Bruder wäre, den ich nie gehabt habe, als ob er ein vertrauter Freund wäre, ein mitfühlender Vater, und ich lehne mich an den Türrahmen und verabschiede mich von der Wohnung. Ich mache einen letzten Versuch, vielleicht sollte ich nur heute Nacht hier auf dem Sofa schlafen und morgen ganz früh wieder gehen, ich kann jetzt schlecht allein sein, und er seufzt, auf gar keinen Fall, Gili könnte aufwachen und dich sehen, das würde ihn durcheinander bringen, geh jetzt, und mit einer festen Bewegung schiebt er mich hinaus, macht das Licht im Treppenhaus an und schließt hinter mir die Tür zu seinem neuen Leben, ich laufe die Stufen hinunter, die hölzernen Beine, die unter mir gewachsen sind, tragen kaum das Gewicht meines Kummers und meiner Enttäuschung, wieder bleibe ich vor seinem Briefkasten stehen, das hochmütige Schild provoziert mich mit seinem schwarzen Rahmen, Amnon Miller, und ich strecke die Hand aus und reiße es heraus, zerfetze den Karton in kleine Stücke, damit keine Erinnerung zurückbleibt.
    Ich gehe zwischen den Palmen hindurch, die wie die beiden Türme vor der Front des kanaanäischen Tempels in Megiddo dastehen, in der Gedenkstätte des Heiligtums, das zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde, wobei die Stadt selbst Dutzende von Malen zerstört und wieder aufgebaut wurde. Die Papierfetzen fallen mir aus der Hand, einer nach dem anderen, während ich langsam weitergehe, ein Jahrzehnt scheint vergangen zu sein, vor einer Stunde wurden meine Schritte noch von Hoffnung getragen, und jetzt ist die Hoffnung weggewischt, meine Schritte sind leer und ohne Bedeutung. Hätte ich an jenem Morgen doch auf meinen Vater gehört, wäre ich zu ihm zurückgegangen und hätte einen Bund für immer geschlossen, dann würden wir jetzt ruhig zu Hause liegen und Gili würde in seinem Zimmer schlafen, in seinem Bett, und morgen würden wir mit Talja und ihrem Mann zu einem Picknick in die Berge fahren, wir würden für die Kinder Meerzwiebeln und Herbstzeitlose suchen und Gili würde mit Jo’av sorglos über die Felsen springen, er wäre wie alle anderen auch, kein Außenseiter. Mit jedem Schritt wächst mein Fehler, schwillt an, wie eine Katastrophe, deren Ausmaß man erst im Lauf der Zeit erkennt.
    Was ist, wenn ich jetzt zu ihnen laufe, wenn ich sie wecke und schreie: Hilfe, rettet mich, Papa und Mama, schaut, was ich getan habe, wie damals an meinem Geburtstag, als ich fünf war, sie hatten einen großen Tisch im Hof vorbereitet, mit einer weißen Tischdecke und beladen mit Süßigkeiten, nur einmal im Jahr erlaubten sie mir, Süßigkeiten zu essen, nur an meinem Geburtstag, und ich saß aufgeregt dort und wartete auf meine Freunde, und gegen meinen Willen ging ich zum Tisch, mein kindliches Herz pochte vor Aufregung, ich betrachtete die verführerischen Teller und streckte die Hand aus, bis

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