Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
sie schon längst aufgehört hatte, und ich sage, erzähl es mir, und er lächelt mit geschlossenen Lippen, seine Hand zwickt sein Kinn, malt ein rotes Zeichen darauf, ich bin nicht daran gewöhnt, etwas zu erzählen, weißt du, ich bin daran gewöhnt, dass man mir etwas erzählt, seltsam, dass es bei dir umgekehrt ist.
Vielleicht weil ich daran gewöhnt bin, mit Steinen zu reden, sage ich, und er lacht, vielleicht, aber ich fühle mich ein bisschen albern, wenn ich über mich sprechen soll, und ich sage noch einmal, erzähl es mir, und ziehe ihn zum Sofa, und auch auf ihm sitzt er aufrecht und etwas steif. Vor ein paar Jahren habe ich mich fast gegen meinen Willen in eine Frau verliebt, mit der ich gearbeitet habe, sagt er, eine Psychologin aus einer psychiatrischen Klinik, sie war so klein wie du und sie hatte auch einen schönen, geschmeidigen Mund wie du, und sein Finger, mit Schokolade und Kaffee verschmiert, gleitet über meine Lippen, nur ihre Haare waren anders, sie waren rot, als ich dich bei uns zu Hause sah, dachte ich erst, sie wäre es, mit gefärbten Haaren, ich war verblüfft, hast du das nicht gemerkt? Nein, eigentlich nicht, ich dachte, du seist irritiert, weil ich gesehen habe, wie du pinkelst. Er lächelt, nein, das hat mir nichts ausgemacht, das hat mir sogar gefallen, du hast mir überhaupt sehr gefallen, und ich lege meine Hand auf seine, du hast mir auch gefallen, ich wollte, dass du mich küsst, und er sagt, ich weiß, willst du es auch jetzt? Sehr, sage ich, und sein Finger fährt wieder und wieder über meine Lippen, als zeichne er sie nach, schiebt sich in meinen Mund, weckt ein brennendes, ungeduldiges Verlangen.
Stell dir vor, dass ich dich küsse, sagt er, kannst du das? Schau, was für eine Kraft in dem liegt, das sich nicht verwirklicht, und ich staune, aber warum soll ich es mir vorstellen, wenn du doch hier bist, neben mir, und er sagt, weil ich es so will, und ich schließe die Augen, sein Finger gleitet wieder über meine Lippen, getaucht in Whisky und Süße, so wie man vor der Beschneidung dem Säugling die Lippen mit Wein befeuchtet, und ich versuche, sein Gesicht zu streicheln, aber er drückt meine Hand auf das Sofa, langsam, flüstert er, wir haben viel Zeit, mehr als du denkst, ich mag es, die Dinge auf meine Art zu tun, nicht nach Rezept, erinnerst du dich? Seine Lippen nähern sich meinen, flattern über ihnen und ziehen sich sofort zurück, hinterlassen eine weiche Bereitschaft, meine Hände liegen nachgiebig in seinen, warum zieht er es so sehr in die Länge, wir sind keine Kinder mehr, wir haben so oft geküsst und sind geküsst worden, und trotzdem kommt es mir plötzlich vor, als müsste es so sein, genau so, wir haben es unser Leben lang zu eilig gehabt, wir sind über die Lust hergefallen und haben sie mit unserem viel zu groben Atem gelöscht, und als er endlich seine Lippen auf meine legt, ist mir, als wäre ich noch nie geküsst worden. Ein geheimnisvoller Geschmack berechnender Männlichkeit erfüllt meinen Mund, seine Hand streichelt über meine Brust, und ich höre seine Stimme, was willst du jetzt, was willst du, dass ich mit dir mache, und sofort befiehlt er, antworte nicht, stelle dir nur vor, dass es passiert, ich will dich sehen, wenn du es dir vorstellst, und ich versuche, seine Hand zu mir zu führen, aber sie weigert sich, ohne Berührung, sagt er, zeig mir, dass du dich wirklich auf mich verlässt, zeig dich mir, und seine weiche Stimme scheint mich einen steilen Berg hinaufzutreiben, bewacht mich von hinten mit zwei starken Händen, dass ich nicht strauchle, schiebt mich Schritt um Schritt vorwärts, bis ich zum höchsten Punkt meiner Sehnsucht komme, von dort gibt es keine Rückkehr mehr, und ich fürchte nicht, rückwärts zu taumeln, das Vergnügen ist schon sicher, der Gipfel in Sicht, das Kleid ist hochgerutscht, mit gespreizten Beinen und noch zitternden Füßen liege ich da, und nun streichelt er mich, wie man ein weinendes Kind streichelt, und vielleicht weine ich wirklich, ein Weinen, das sich aus einem tiefen Staunen löst. Meine Süße, flüstert er, man sieht dir an, dass du nie so geliebt worden bist, wie du es wirklich möchtest, keiner hat verstanden, wie zart du bist, man muss dich in Watte packen, ich mache die Augen auf, sehe, wie er aufrecht am Rand des Sofas sitzt, sein Blick streichelt mein Gesicht, sein Mund ist offen, die weiche Zunge hängt verführerisch in einem Mundwinkel, die Worte, die so viel Nähe ausdrücken,
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