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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Mama, und wenn ich bei Mama bin, vermisse ich dich, und wenn er Mama sagt, meint er mich, mich von allen Frauen auf der Welt. Die schmalen länglichen Augen der Schabbatkerzen tänzeln misstrauisch, wo ist der Beweis, ich brauche dringend den Beweis, dass ich diese Sehnsucht nicht umsonst auf ihn geladen habe, und sofort stürze ich mich mutig auf die Suppe, als verberge er sich in ihr, als wäre das der Giftbecher, den ich leeren muss, um meine Zweifel loszuwerden, und er schaut mir zufrieden zu, ich habe dir doch gesagt, dass sie dir schmecken wird, strahlt er, meine Mutter hatte nie Zeit, um für uns zu kochen, erzählt er, im Winter sind wir aus der Schule gekommen, hungrig und halb erfroren, wir haben den gesamten Inhalt des Kühlschranks in einen Topf geworfen, haben Wasser dazugetan und alles kochen lassen, und es ist immer etwas Gutes herausgekommen, und plötzlich spüre ich, wie mein Herz ihm entgegenschlägt und sich seinem alten Kummer öffnet, vielleicht kann man nur so seinen Nächsten in sich aufnehmen, durch Empathie und Erbarmen, Amnon, der wie ein verwöhnter Prinz aufgewachsen ist, hat nie solch ein Gefühl in mir geweckt.
    Aufgewühlt von der Erkenntnis, die mir so beiläufig gekommen ist, nehme ich eine zweite Portion, und diesmal schmeckt es mir schon beinah, aus dem Teller schaut mir ein trauriger Junge in einer alten dämmrigen Küche entgegen, wie er vor fettigen Herdplatten steht, auf denen Gerichte brodeln und seltsam riechen, denn die Mutter ist zu beschäftigt, um zu kochen, die Mutter pflegt den Vater, und ich schaue zu ihm hinüber, versuche, mich an seine Anwesenheit zu gewöhnen, an seine ruhige Gelassenheit, seine aufrechte Haltung beim Sitzen, sein geschnitztes Gesicht, seine beherrschten Bewegungen. Ist alles in Ordnung mit dir, fragt er, wischt sich die Lippen mit der Serviette ab, und diese Worte, die einfachsten aller Worte, kommen mir einzigartig und vergoldet vor, so hat er mich damals angesprochen, in seiner Wohnung, ist alles in Ordnung mit Ihnen, und ich sage, ja, und mit dir, und er sagt, mehr oder weniger, sein Blick wandert durch das Wohnzimmer, bleibt an den geschändeten Bücherregalen hängen, und ich folge seinem Blick, als wäre ich hier so fremd wie er, und ich frage mich, ob ihn die Unordnung abstößt, die nachlässig zusammengewürfelten Möbel, die sich so sehr von denen in seiner Wohnung unterscheiden.
    Wo wohnst du jetzt eigentlich, frage ich, und er sagt, vorläufig wohne ich in der Praxis, und ich wundere mich, wirklich, in der Praxis, ist das nicht deprimierend, und er sagt, ein bisschen, aber das passt vermutlich zu meinem Masochismus, und ich sage, ich habe nicht gedacht, dass du ein Masochist bist, und er sagt, warum nicht, hätte mir diese Suppe sonst so gut geschmeckt, und ich lache, auch wenn er gesagt hätte, ich bin ein Sadist, ich bin paranoid, hätte ich mich überschlagen vor Begeisterung, ich würde ihm so gerne alle möglichen Fragen stellen, aber einstweilen betrachte ich ihn schweigend, lerne seine Bewegungen auswendig, und als wir Schokoladenkekse in den Kaffee tauchen, macht er aus seinem Kaffee wieder einen süßen Brei, und wieder fällt mir ein, wie ich ihm damals auf dem hohen Barhocker gegenübersaß und die Reste der roten Birne in meiner Hand zerdrückte, und eine hungrige und hoffnungslose Sehnsucht steigt langsam in mir auf, wie das Heulen eines Schakals, löst sich in dem unterdrückten Weinen auf, das aus einem der Zimmer kam, und ich frage, wer hat damals geweint, an jenem Morgen, und er fragt, an welchem Morgen, und ich sage, als ich Gili zum ersten Mal zu euch gebracht habe, erinnerst du dich, als ich dich im Klo erwischt habe, und er sagt, ob ich mich erinnere, fragst du, das war kein Morgen, den ich vergessen könnte, und ich sage, wirklich, warum?
    Weil ich damals beschlossen habe wegzugehen, sagt er, ich habe begriffen, dass ich keine Wahl habe, die ganze Nacht hat sie mich mit ihrem Misstrauen verrückt gemacht, und am Morgen war mir klar, dass es aus ist, dass ich so nicht weitermache, und ich frage, aber warum war sie so misstrauisch, hast du sie die ganze Zeit betrogen? Und er kommt mir so wunderbar vor mit seinem schönen langen Körper, dass ich ihm sogar dann, wenn er ja sagte, sofort Recht geben würde, ich würde nicht zurückschrecken, aber zu meiner Freude sagt er, nein, nicht die ganze Zeit, nur ein einziges Mal, aber es spielt keine Rolle, wie oft, die Geschichte hat sich in ihrem Kopf fortgesetzt, nachdem

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