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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Dinge, ich versuche, zwischen ihm und ihr zu vermitteln, weißt du, er lächelt mich etwas verlegen an, ich habe eine Angewohnheit, wenn ich einem Patienten gegenübersitze, ich versuche dann, in ihm seine Seele zu sehen, so wie man ein Gesicht im Mond oder in den Wolken sieht, in den Augen meiner Kollegen ist das natürlich eine Spielerei, aber mir gibt es Anhaltspunkte, ich höre ihm fasziniert zu, und wie sieht meine Seele aus, frage ich, ist es dir gelungen, sie zu sehen?
    Natürlich, sagt er, sonst wäre ich nicht hier, deine Seele ist in ständiger Bewegung, wie ein Vorhang, der bei starkem Wind hin und her weht, ein Samtvorhang, der vor einem hohen Fenster hängt, in einem schönen alten Zimmer, und ich frage, ist das gut oder schlecht, vermutlich hoffe ich auf einen schmeichelhafteren Vergleich, und er sagt, in meinen Augen ist es großartig, und ich bemerke, aber der Vorhang bleibt doch immer an derselben Stelle, und er sagt, stimmt, das ist es ja gerade, was mich begeistert, Bewegung und Beständigkeit, und während er das sagt, staune ich über dieses Einzigartige an ihm, als hätte ich zufällig ein seltenes Amulett gefunden, ein silbernes Amulett, auf dem in alter hebräischer Schrift Sätze geschrieben sind, wie man sie südwestlich des Tals Ben-Hinnom gefunden hat, nicht weit von hier, das Einzigartige, das ich zuvor verschwommen gespürt habe, wird klarer, je länger er spricht. Es scheint, als ob jedes andere Gespräch auf der Welt eine Art dorniger, ermüdender Kampf ist, verglichen mit diesem Austausch von Worten, die mir so fremd und doch so vertraut sind, als wären es die Worte, die Männer in jenen fernen Tagen zu ihren Frauen sagten, die auf den Fluren meiner Fantasie gingen, als ich jung war, als ich noch kein Kind hatte. Welches Glück schenken mir seine Worte, wie anziehend ist dieses Glück, noch nie habe ich solche Anziehungskraft empfunden, siehe, ich habe Freiheit verlangt und bekomme Glück, und nachdem ich es probiert habe, brauche ich keine Freiheit mehr, ich sehne mich nur danach, ihm zu dienen, als Priesterin in seinem Tempel, eine getreue Sklavin des Glücks möchte ich sein, eine, die von morgens bis abends Holz hackt und sein Feuer bewacht, damit es niemals ausgeht.
    Dann hält er mir seine Hand hin, komm, ich bringe dich ins Bett, sagt er, es ist schon spät, und ich protestiere, noch nicht, bleib noch ein bisschen, genau wie Gili, wenn er schlafen gehen soll, und er sagt, ich muss los, ich habe morgen einen vollen Tag und ich möchte am Morgen noch die Kinder sehen, ich gehe um halb sieben hin und wecke sie, auf diesen Moment, wenn ich sie sehe und sie mich noch nicht, will ich nicht verzichten, und ich dränge noch einmal, Oded, wie willst du das schaffen, du wirst diese Trennung nicht aushalten, wenn Michal versteht, dass es endgültig ist, wird sie nicht zulassen, dass du jeden Morgen kommst, sie wird dir noch nicht einmal den Wohnungsschlüssel lassen, ich habe Amnon gezwungen, mir den Schlüssel zurückzugeben, Michal wird es genauso machen, und ich frage mich, warum ich so hartnäckig darauf beharre, ihn zu entmutigen, und er seufzt, gut, ich habe dich verstanden, jetzt lass mich zuschauen, wie du schlafen gehst.
    Was gibt es da zu sehen, frage ich verwundert, ich habe keine besonderen Zeremonien, und er lächelt, ich bin sicher, dass du welche hast, versprich mir bloß, dass du mich überhaupt nicht beachtest, tu nichts meinetwegen, kannst du das? Und ich sage, es wird nicht einfach sein, dich nicht zu beachten, dann ziehe ich vor seinen Augen mein Kleid aus, stehe in Unterhosen vor ihm, meine Haare fallen über meinen Oberkörper, und ich frage mich, ob er die Hand ausstrecken und sie wegschieben wird, wie man einen Vorhang wegschiebt, aber sein Interesse ist passiv und trotzdem außerordentlich intensiv, er verleiht allen einfachen, alltäglichen Handlungen Pracht und Bedeutung, allein dadurch, dass er sie so ernst beobachtet, ein bisschen angespannt, als handelte es sich um einen komplizierten Tanz, dessen Details er einstudieren muss, und er fragt, so gehst du schlafen, und ich sage, nein, wieso denn, und er bittet, dann zeig mir doch, wie du wirklich schlafen gehst, tu nichts meinetwegen, versuche, mich zu ignorieren, als wäre ich überhaupt nicht da.
    Drei braune Stoffbären sind vorn auf den Pyjama genäht, und Gili deutet immer auf sie und sagt, das bist du und das ist Papa und das bin ich, obwohl alle drei genau gleich groß sind, ich ziehe ihn verlegen an,

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