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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Pfeifen und fragte, glaubst du mir, daß es dort Schakale gab, und er fragte, wo, und pfiff sofort weiter, ohne die Antwort abzuwarten.
    Bei meinem ersten Zuhause, sagte ich, als ich ein Kind war, ich weiß, daß es dort Schakale gab, und glaube es trotzdem nicht. Es kommt mir wie ein Hirngespinst vor, mein ganzes früheres Leben kommt mir wie ein Hirngespinst vor, ich weiß, daß es dieses Leben gegeben hat, aber ich glaube nicht daran. Ich glaube nicht, daß ich meine Eltern jeden Tag gesehen habe, daß wir zu dritt am großen Tisch gesessen und gegessen haben, daß ich sie bei allen möglichen Dingen um Erlaubnis gefragt habe, daß wir eine Familie waren.
    Heißt das Familie, wenn man um Erlaubnis bitten muß? Er lachte, und ich sagte, ja, vor allem, und er sagte, für mich ist es beinahe das Gegenteil, für mich bedeutet es eine schwere Verantwortung, meine Eltern waren arme Einwanderer, ohne Arbeit, ohne Sprache, ohne Ansehen, ich war schon mit zehn für zehn Leute verantwortlich.
    Er steckte sich eine Zigarette an und lächelte zufrieden, stolz auf die Biographie seiner Eltern, und ich betrachtete ihn erstaunt, er sah so makellos aus, so einzigartig, mit dem grauen Rauch, der von den grauen Lippen aufstieg, den wohlgeformten Händen auf dem Lenkrad, der geschmackvollen Kleidung, den Haaren, die sich an den Spitzen leicht kräuselten, ohne jedoch die Rundung jeder einzelnen Locke zu stören, und sogar seine Altersflecken schienen Teil dieser Vollkommenheit zu sein. Ich versuchte ihn mir als Zehnjährigen vorzustellen, mit seiner braunen Haut, die durch die zerrissene Kleidung hervorleuchtete, mit schmutzigen schwarzen Locken und ausgehungerten Augen. Wie war er so geworden, so anspruchsvoll?
    Wie bist du so anspruchsvoll geworden, fragte ich, ich bin davon ausgegangen, daß du in einem Schloß aufgewachsen bist, und er lachte vergnügt, gerade weil mich so viele Jahre lang niemand verwöhnt hat, habe ich angefangen, mich selbst zu verwöhnen, schließlich muß man sein Leben ins Gleichgewicht bringen.
    Und sie, hat sie dich verwöhnt, fragte ich.
    Wer? Er wartete, und ich sagte, Joséphine, und genoß insgeheim die Diskrepanz zwischen diesem fremden, wie ein Zauber klingenden Namen und der traurigen Gestalt.
    Er wurde sofort ernst. Sie hat alles getan, was sie konnte, um mich glücklich zu machen, sagte er pathetisch, als würden wir schon hinter ihrem Sarg hergehen, und ich krümmte mich wie ein kleiner Hund, der einen Fußtritt bekommen hat, schon war es vorbei mit dem Vergnügen, mit dem verheirateten Liebhaber über seine Ehefrau zu tratschen und sie ein bißchen zu verleumden, zu hören, wie langweilig sie doch war, daß sie ihn nicht verstand und nicht fähig war, seine stürmischen sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Statt dessen saß da ein Mann voller Schuldgefühle, der aus seiner Frau eine Heilige machte. Interessant, was Joni über mich sagen würde, wenn ich jetzt sterbenskrank wäre. Schließlich war auch ich die Frau von jemandem, so seltsam sich das auch anhörte. Ob er auch sagen würde, ich hätte alles getan, um ihn glücklich zu machen?
    Gerade als ich an Joni dachte, bog das Auto in die enge, belebte Straße ein und hielt vor unserem Haus, ohne Rücksicht auf den berühmten Sicherheitsabstand. Von weitem sah ich das schwache Licht in unserer Küche, fast konnte ich hören, wie das Gemüse geschnitten wurde, müde, verzweifelt und voll guten Willens, und mein ganzer Körper schmerzte, als wäre ich selbst ein Stück Gemüse auf seinem Schneidebrett. Arie, sagte ich leise, ich kann nicht nach Hause gehen, und er fragte mit kalter Stimme, warum. Weil ich genau weiß, was sein wird, flüsterte ich, ich weiß, was er sagen wird und was ich sagen werde, ich weiß, was wir zu Abend essen werden, ich weiß, wie er mich anschauen wird, das deprimiert mich zu sehr, ich möchte bei dir bleiben.
    Er sagte nichts, aber das Auto fuhr los, und wir entfernten uns, das Haus verschwamm in der Ferne, und nur das schwache Licht aus der Küche war noch eine Weile zu sehen. Er pfiff wieder, und ich legte meine Hand auf sein Knie und schloß die Augen und dachte an die dämmrige Küche mit dem kleinen Fenster, vor dem Büsche wuchsen, und daß es, statt Licht in die Wohnung zu bringen, es wegzunehmen schien, es sah immer dunkler aus, als es wirklich war, und ich dachte an den Mülleimer, der sich mit Gurkenschalen und anderen Abfällen füllte, und er tat mir leid, dieser Mülleimer, weil er sich umsonst

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