Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
auch, paß auf dich auf, als ob ich die Kranke wäre. Ich drehte mich nach den beiden Turteltäubchen um und sah seine Frau mit dem gleichen liebevollen Lächeln, das mir schon wie eine Grimasse vorkam, und ich fragte ihn leise, ob er vorhabe, auch bald zu gehen, denn ich sei ohne Auto hier, und er sagte, warte draußen ein paar Minuten, also setzte ich mich auf die Bank vor dem Zimmer und folgte dem unaufhörlichen Hin und Her der Schwestern und Kranken, das mir immer seltsamer vorkam. Wie Ameisen sahen sie alle aus, eine Sekunde bevor sie von einem riesigen Fuß zertreten werden, und sie wußten das und rannten trotzdem herum und schwitzten.
Er kam ziemlich bald heraus, warf einen Blick auf die Uhr, überlegte wohl, wieviel Zeit er verloren hatte und wieviel ihm für diesen Tag noch übrigblieb, und von Sekunde zu Sekunde wurden seine Schritte jugendlicher, bis ich fast laufen mußte, um ihm folgen zu können, so als wolle er den Moment der Schwäche in der Toilette wegwischen, und die Sache kam mir wirklich schon ganz unmöglich vor, wie etwas, was ich phantasiert hatte, und ich dachte, nur dieser Fleck wird mir beweisen, daß es passiert ist, aber als ich neben ihm im Auto saß und seine Hose betrachtete, war auch von dem Fleck nichts mehr geblieben.
Und was hast du eigentlich dort gemacht, fragte er, als wir losfuhren, und warf mir einen amüsierten Blick zu, und ich versuchte, einen leichten Ton anzuschlagen, das habe ich dir doch gesagt, ich habe meine Tante besucht.
Aber deine Tante ist noch nicht lange da, und dich habe ich schon ziemlich oft gesehen, wie du dich im Krankenhaus herumgetrieben hast, gab er zurück, und ich sagte mir, ruhig Blut, und ich war sicher, daß ich schamrot wurde, schon immer hatte ich das Gefühl gehabt, er wisse Dinge von mir, von denen ich nicht wollte, daß er sie wußte, und trotzdem war es sehr überraschend gekommen.
Wieso habe ich dich dann nicht gesehen, fragte ich, um Zeit zu gewinnen, und er sagte in seinem hochmütigen Ton, weil ich dafür gesorgt habe, daß du mich nicht siehst, du weißt doch, daß ich in solchen Sachen gut bin, und ich verteidigte mich, es ist kein Verbrechen, in einem Krankenhaus herumzulaufen.
Nein, ein Verbrechen ist das nicht, aber ich würde es als pervers bezeichnen, er lächelte, und ich spürte, daß auf dem großen Strom der Scham auch kleine Schaumkronen der Dankbarkeit schwammen, denn nun hatte ich keine Wahl mehr, ich mußte beichten, und das war es vermutlich, was ich am meisten wollte, und ich sagte, ich weiß, daß es sich schrecklich anhört, aber ich liebe es, in Krankenhäuser zu gehen, nur dort fühle ich mich sicher. Wenn es mir schlecht geht, treibe ich mich ein bißchen dort herum, und schon beruhige ich mich, ich schaue einfach in Zimmer hinein, als suche ich jemanden, ich liebe diese Atmosphäre der vollkommenen Beaufsichtigung und des Schutzes, ich weiß, daß alle Kranken mich beneiden, weil ich gesund bin, aber ich beneide sie, weil man sie die ganze Zeit pflegt und für sie sorgt, ihr Leben kommt mir manchmal besser vor als meines.
Was ist so schlecht an deinem Leben, fragte er, seine Stimme war plötzlich traurig, und ich sagte, ich weiß es nicht genau, nichts Bestimmtes, nur daß es mein Leben ist und ich ihm gehöre und so tief drinstecke.
Schade, sagte er ruhig und begann zu pfeifen, und sein Pfeifen beruhigte mich sofort, denn es erinnerte mich an früher, als ich meinen Vater manchmal morgens, wenn ich aufwachte, pfeifen hörte, und das war immer ein Zeichen dafür gewesen, daß er gut gelaunt, daß er auf niemanden böse war, das heißt weder auf mich noch auf sie, und wir hatten uns so sehr an solche Zeichen gewöhnt, daß mich meine Mutter oft weckte und sagte, guten Morgen, Papa hat heute gepfiffen, und dann sah der Tag ganz anders aus. Und manchmal sagte sie, er hat dreimal gepfiffen, mit einem gewissen Stolz in der Stimme, und dann war ich überzeugt davon, daß sie miteinander geschlafen hatten.
Zuweilen lag ich wach im Bett und versuchte, ihre Stimmen aufzufangen, neben dem Summen der Rasensprenger, dem Jaulen der Katzen und Hunde, sogar Schakale gab es dort, und irgendwelche intimen Geräusche zu hören. Dabei sagte ich mir oft, was spielt es denn für eine Rolle, was hinter der verschlossenen Tür geschieht, du hast dein eigenes Leben, aber immer gab es da etwas zwischen mir und ihnen, zwischen mir und meinem Leben, eine Art altes Verderben, das sich nicht vertreiben ließ.
Ich unterbrach sein
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