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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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wenn das dein Vater erfährt, ist es aus mit dir, komm sofort nach Hause, und wie ein Gegenstand lasse ich mich packen und wegbringen, mir bleibt keine Zeit, mich zu verabschieden, und auf der Fahrt nach Hause bricht das einzige Bündnis zwischen uns, das Bündnis gegen meinen Vater. Ich werde es ihm erzählen, wenn das nicht sofort aufhört, droht sie, du weißt, dass ich nicht bin wie er, ich habe kein Problem damit, dass du dich mit Jungen herumtreibst, aber nicht mit ihm, glaub mir, es ist nur zu deinem Besten, und ich schreie, was hast du getan, was hast du getan, gerade deshalb muss ich doch so oft wie möglich mit ihm zusammen sein, bring mich sofort zurück, wie stark ist das Verlangen, aus dem fahrenden Auto zu springen, zu ihm zurückzukehren und seine Liebesworte zu hören.
    Ich erlaube nicht, dass du dich an ihn hängst, zischt sie, glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche, ich will auf keinen Fall, dass du mit sechzehn Witwe wirst, und am nächsten Morgen wartete ich am Schultor auf ihn, aber er kam nicht in die Schule, und ein paar Tage später verkündete die Lehrerin, sein Gesundheitszustand habe sich plötzlich verschlechtert, er sei in die Schweiz in ein Krankenhaus geflogen worden, und jeder, der könne, solle Geld spenden, wir sollten es unseren Eltern sagen, wir sollten Briefe schreiben, und meine Mutter spendete sofort etwas, als hätte sie nur auf diese Gelegenheit gewartet, und das Geld wurde gesammelt, die Briefe geschrieben, aber der schöne, begabte Junge, der Stolz seiner kleinen Familie, der Stolz des armen Viertels, aus dem er stammte, der Stolz der Schule und der Klasse, kehrte nicht aus dem Schweizer Krankenhaus zurück und feierte nicht mehr seinen siebzehnten Geburtstag und ich wurde nicht seine Witwe, und ich schwor mir, wenn ich je einen Sohn bekäme, würde ich ihn Gil’ad nennen, und wenn mein Mann sich weigerte, würde ich ihn sofort verlassen, aber Amnon weigerte sich nicht und trotzdem verließ ich ihn später, aus ganz anderen Gründen.
    Deine Mutter hat Recht gehabt, sagt Oded, natürlich hat sie Recht gehabt, hättest du nicht genauso gehandelt wie sie? Hättest du deiner Tochter erlaubt, eine solche Verbindung einzugehen? Ich verstehe, dass du dich vom Sex und vom Tod angezogen fühltest, wir alle träumen davon, Liebe zu machen und zu sterben oder Liebe zu machen und ewig zu leben, was mehr oder weniger das Gleiche ist, aber es besteht kein Zweifel daran, dass deine Mutter ihre Pflicht getan hat, ihr blieb nichts anderes übrig, und ich sage, das stimmt nicht, sie hätte mich nicht auf diese Art wegholen dürfen, ohne dass ich mich verabschieden konnte, alles ist auf so tragische Weise abgeschnitten worden, nicht nur seine große Tragödie, sondern auch meine eigene nebensächliche, meine ganze Jugend habe ich mit dem Versuch vergeudet, herauszufinden, ob er mich geliebt hat. Er hatte darum gebeten, dass man seine Geschichten mit ihm zusammen begrub, und ich träumte davon, dass ich in der Erde grabe und seine Geschichten finde und darin lese, dass er mich liebte, es wurde zu einer Besessenheit, jahrelang konnte ich mit niemandem schlafen, vielleicht war es ja das, was ihn umgebracht hat, es war eine kalte Nacht und er hat geschwitzt, der Schweiß kühlte seinen Körper aus, vielleicht wäre es nicht passiert, wenn ich nicht mit ihm zusammen gewesen wäre.
    Ja, sagt er, Zorn kann zweifellos töten, und ich frage, welcher Zorn, der meiner Mutter oder meiner, und er sagt, nein, der Zorn auf ihn, schließlich hat er sich dir aufgezwungen, du wolltest einen Bruder und keinen Liebhaber und er hat mit dir geschlafen und dich verlassen, und er hat noch nicht einmal dein narzisstisches Bedürfnis befriedigt, da ist es kein Wunder, dass du ihn bestraft hast, und ich frage zitternd, ich soll ihn bestraft haben, bist du noch normal? Und er lächelt, beruhige dich, ich meine es nur auf der symbolischen Ebene, was ist mit dir, du erschrickst jedes Mal aufs Neue, wenn du entdeckst, dass es so etwas wie das Unbewusste gibt, ich befürchte langsam, dass du nur etwas von alten Steinen verstehst, aber nichts von Menschen. Und ich fauche zornig, wirklich, kann es nicht sein, dass du der Realität deine seltsamen Deutungen aufzwingst und das zerstörst, was selbstverständlich ist, wie kannst du einfach irgendwelche Behauptungen aufstellen, ohne alle Details zu kennen? Und sofort schmilzt mein Zorn vor seinem Lächeln, und er sagt, weißt du, ich hätte einer solchen Verewigung nicht

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