Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Kleidungsstücke draußen im Sturm geblieben, seine knabenhafte Brust war glatt und golden, von den Haaren, die bis auf seine Schultern hingen, tropfte das Wasser von der Dusche und rann über seine Haut, seine Augen glänzten wie Blätter nach dem Regen, wie wunderbar er war, als wollte er die Welt dazu zwingen, die Luft anzuhalten, bevor er sie verlassen würde, als wollte er den unvergesslichen Eindruck seiner blühenden Jugend hinterlassen. Er kochte heiße Schokolade für uns, sämig wie Brei, und las mir eine Geschichte vor, die er geschrieben hatte, er schrieb so schön, er war sowohl der beste Schüler als auch der Beste im Sport, er war der Tollste, und alle liebten ihn und niemand wusste, wen er wirklich liebte, sogar ich wusste nicht, ob wir ein Paar waren, immer blieb etwas zwischen uns unklar. Er bemerkte meinen Blick und lächelte mich an, du bist etwas Besonderes, Ella, sagte er, du bist nicht wie die anderen, dein Leben wird nicht normal sein, du wirst etwas Wertvolles schaffen, und ich sagte, wieso ich, du bist es, der für Großes bestimmt ist, sicher wirst du einen Roman schreiben, den alle loben, und ich werde ihn lesen und dich anrufen, aber du wirst dich nicht mehr an mich erinnern, und er machte eine abschätzige Handbewegung, und ich überlegte, was soll diese Handbewegung, denn gegen meinen Willen suchte ich nach Zeichen und dachte, weißt du, dass du deinen siebzehnten Geburtstag nicht feiern wirst, was hast du gemeint, als du gesagt hast, nur die Erde wird lesen, was ich schreibe.
Abends bot er mir das Bett seiner kleinen Schwester an, die mit den Eltern weggefahren war, er lachte und sagte, du bist ungefähr so groß wie sie, nur dass sie in die dritte Klasse geht, und ich erzählte ihm von meinen Brüsten, die Angst hätten zu wachsen, in der Nacht, in der Dunkelheit, erzählte ich ihm alles, der Abstand zwischen den beiden Betten füllte sich immer mehr, ich erzählte ihm, wie wehrlos ich war gegenüber den Beschimpfungen, Verboten, Drohungen zu Hause, wie ich von einem Bruder oder einer Schwester träumte, die mir beistünden, vielleicht würde ich dann wachsen, wenn ich bloß immer hier bleiben könnte, im Bett deiner Schwester, sagte ich, und als er plötzlich aus seinem Bett steigt, frage ich, wohin willst du, und er sagt, zu dir, sein goldener Körper leuchtet in der Dunkelheit, er tröstet mich mit gierigen Händen, und ich frage mich, ob das der Geschmack der Jugend ist, säuerlich und fiebrig, von vornherein enttäuschend. Auf dem Bett seiner neunjährigen Schwester winden wir uns, hast du schon einmal mit jemandem Liebe gemacht, fragt er in seiner schönen Sprache, und ich sage, nein, und du? Und er sagt, nicht wirklich, und ich weiß noch nicht einmal, was dieses wirklich bedeutet, ob es dieses Brennen zwischen den Schenkeln meint, und ich weiche zurück, noch nicht, Gili, es ist noch zu früh für mich, denn ich habe ständig die Stimme meines Vaters im Ohr, ein Mensch braucht Bremsen, sonst wird er zerschmettert, so wie ein Auto, dessen Bremsen versagen, Zerstörung bringt.
Aber ich habe keine Zeit, flüstert er, ich habe keine Zeit, und ich frage, warum, klebrige Angst hält meine Glieder zusammen, aber er weicht aus, sagt, das ist jetzt nicht wichtig, was für eine süße Schwester ich habe, staunt er, seine duftenden Haare kitzeln mein Gesicht, seine Haut ist glatt und zum Zerreißen gespannt, und ich erschrecke vor der Nähe, an die ich nicht gewöhnt bin, komm, schlafen wir, mein schöner Bruder, und er sagt, wieso schlafen, wir dürfen nicht schlafen, und da weiß ich, dass es in dieser Nacht geschehen wird, auch wenn es zu früh ist, denn der Festentschlossene wird immer den Zögernden besiegen, und ich warte auf Worte, höre aber nur Atemzüge, als wäre er allein mit sich, keucht er in glühendem, enttäuschendem Schweigen, gib mir Worte, die unseren Atemzügen Bedeutung verleihen, die unsere Einsamkeit besänftigen, sag mir, dass ich deine Geliebte bin, soll ich denn ewig nach Zeichen suchen.
Wer von uns beiden schluchzt, oder schluchzen wir gemeinsam, in der kältesten Nacht jenes Winters, aneinander geklammert, als würden wir uns vor unserem Verlangen verstecken, bis wir im schmalen Bett seiner Schwester einschlafen und uns am frühen Morgen das laute Klingeln an der Tür weckt und meine Mutter auf der Schwelle steht und zischt, du hast Glück, dass dein Vater es nicht weiß, zornig betrachtet sie meinen Körper in seinem Trikot, das so lang ist wie ein Kleid,
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