Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
alles sprechen, und ich betrachte sie prüfend, ihr scharf geschnittenes Gesicht, die dicke Brille, die auf der schmalen Nase das Gleichgewicht zu suchen scheint, blasse Lippen, kurz geschnittene graue Haare, sie ist hoch gewachsen und nachlässig gekleidet, ihre alte Hose ist ausgeblichen und fleckig. Nun, komm doch, wenn du schon mal hier bist, sonst kommt die ganze Kälte rein, schimpft sie, plötzlich ungeduldig, und ich betrete hinter ihr das warme Haus, das von einem riesigen Ofen geheizt wird, er steht mitten im Wohnzimmer und schickt Rohre in alle Richtungen, die Kinder springen wild auf dem bunten Polsterlager vor dem eingeschalteten Fernseher herum, ein hoch aufgeschossenes, ernst aussehendes Mädchen sitzt auf dem Sofa, eine Gitarre in der Hand, und beantwortet unwillig Odeds höfliche Fragen, er hat schon eine Flasche Bier gefunden und sich gemütlich hingesetzt.
Seid ihr hungrig, fragt die Frau, Dani ist nach Nazareth gefahren, um Chumus und Fladenbrot zu holen, wir essen gleich, und mit flinken Fingern räumt sie einen Stapel Zeitungen von dem riesigen Marmortisch, ich weiß nicht, warum ich diesen ganzen Mist lese, murrt sie, man müsste jeder Zeitung eine Antidepressionspille beilegen, wie soll man das alles sonst ertragen, sie wendet sich an Oded und fragt, sag, hast du jetzt mehr Patienten wegen der politischen Lage, schließlich können auch schon ganz normale Menschen von dem, was hier passiert, verrückt werden, und er antwortet, im Gegenteil, die Lage scheint meinen Patienten gut zu tun, plötzlich sind alle Menschen um sie herum deprimiert und haben Angst, sie fühlen sich nicht mehr als Ausnahme, sie reagieren geradezu erleichtert auf den kollektiven Schrecken.
Interessant, das hätte ich nicht gedacht, sagt sie, und was ist mit dir selbst, Oded, hast du nicht manchmal die Nase voll davon, ständig nur irgendwelche Leute zu behandeln? Er lächelt, nein, wirklich nicht, ich bin süchtig danach, das ist doch etwas Fantastisches, man kann die meiste Zeit des Tages sich selbst getrost vergessen, beschäftigt sich nur mit anderen und schafft es sogar manchmal, ein Resultat zu erzielen, nur wenn ich die Praxis verlasse, erinnere ich mich plötzlich wieder an mich selbst, leider, und als ich sein trauriges Lächeln sehe, fällt mir auf, dass es schon lange nicht mehr aus seinem Gesicht gewichen ist, und wieder erwacht in mir die Sehnsucht nach ihm, wie er früher war, die Sehnsucht nach unserem kurzen Glück.
Und was ist mit dir, fragt er schnell, malst du zurzeit viel? Sie zündet sich eine Zigarette an, mit gelblich verfärbten Fingerspitzen, und sagt, so viel ich kann, kennst du dieses Bild schon? Sie deutet auf ein großes graues Gemälde an der Wand, und er betrachtet es mit zusammengekniffenen Augen, die leeren Regale, erklärt sie geduldig, in letzter Zeit versuche ich, die Leere zu malen, leere Schränke, leere Gefäße, das ist viel schwerer, als ich mir vorgestellt habe, es ist, als würde man Luft malen, man kann sich an nichts festhalten, und Oded stellt sich vor das Bild, sehr beeindruckend, Orna, sagt er anerkennend, weißt du, vor gar nicht langer Zeit habe ich gelesen, dass nach der Kabbala in einen leeren Raum die Göttlichkeit eintreten kann, und als ich sehe, wie lebhaft er sich mit ihr unterhält, wie er die letzten Silben dehnt, als würde es ihm schwer fallen, sich von den Wörtern zu trennen, fliegt ihm mein Herz zu, und ich beschwöre flüsternd seinen Rücken, du wirst auch mit mir noch so reden, du wirst auch mich noch so anlächeln.
Sie unterbricht das Gespräch, wo bleibt er denn, dieser Trödler, wie lange der braucht, um Fladenbrot zu kaufen, bestimmt treibt er sich wieder in den Kirchen herum und hat vergessen, dass ihr kommt, ich sage dir, Oded, mein Eheleben ist eine einzige Farce, du hast keine Ahnung, wie sehr ich von ihm die Nase voll habe, was fange ich bloß mit ihm an, und Oded lacht, das höre ich schon seit zwanzig Jahren, ihr werdet euch bis an euer Lebensende nicht trennen, warum glaubst du, würde es dir ohne ihn besser gehen? Und ich habe das Gefühl, als spräche er über seinen eigenen, kurzen und traurigen Versuch mit mir, von dem nichts geblieben ist.
Stell dich nicht so naiv, sagt sie und bewegt ihren gelblichen Finger vor seinem Gesicht, Oded, gib dir keine Mühe, das ist doch genau das, was du getan hast, sie wendet sich neugierig zu mir, und du auch, du hast doch auch eine Trennung hinter dir, nicht wahr? Ich nicke traurig, versuche, mich an
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