Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Jahren nicht mehr gehört, und ich konnte mich nicht beherrschen und drehte mich um, da sah ich sie, eine junge Frau mit einem Säugling auf dem Arm, die andere Hand voller Schlüssel, die sie ausgestreckt hielt, als versuche sie, die Tür durch mich hindurch aufzuschließen, und ich wußte nicht, was ich sagen sollte, also deutete ich auf die Tür gegenüber, die, auf der Even stand, und stotterte, ich warte auf sie. Mit Absicht sagte ich auf sie und nicht auf ihn, damit es sich nach nichts Besonderem anhörte, ein Familienbesuch, sie lächelte erleichtert und machte die Tür auf, eine Welle von Wärme schlug mir entgegen, sie trat ein, und im letzten Moment, unmittelbar bevor mir die Tür vor der Nase zugefallen wäre, sagte sie, du kannst mit uns warten, mit uns, hatte sie gesagt, nicht einfach hier oder bei uns, so als würden wir wirklich alle zusammen warten, sie und das Baby und ich, als würden sie gemeinsam mit mir die Last tragen, die Anspannung, die Enttäuschung, und ich fühlte, daß sie verstand, wie traurig meine Hoffnung war, denn nicht auf ihn wartete ich so verzweifelt, sondern auf seine Liebe, und die würde nie kommen.
Ich fand mich hinter der Tür wieder, wagte mich aber nicht einen Schritt vor, zu groß war meine Angst, in ihre Privatsphäre einzudringen, und sie packte inzwischen das Baby aus seinen Hüllen, und als sie ihm die Mütze vom Kopf nahm, zeigte sich plötzlich sein Gesicht, und ich blickte den Kleinen erstaunt an, denn sein Gesicht war haargenau das von Joni, die gleichen orangefarbenen Lippen und die sanften braunen Augen und die braunen Haare, die sich bei ihm noch nicht lockten, das süße Gesicht eines Schafs, und er blökte mich auch an wie ein kleines Schaf, und ich dachte, statt des ganzen Unsinns hätte ich lieber mit Joni ein Kind machen sollen, das sein Gesicht geerbt hätte.
Aber dann spürte ich einen Stachel der Angst, woher hatte eigentlich dieser kleine Junge da Jonis Gesicht, und ich betrachtete seine Mutter, ob sie vielleicht einem Schaf ähnlich war, doch sie sah ganz anders aus. Sie hatte ein energisches, glattes Gesicht mit hellen Augen und vollen dunklen Lippen, die Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden wie eine Tänzerin, sie lächelte mich freundlich an und sagte, was möchtest du trinken, und ich sagte, Wasser, und lehnte mich an die Tür, denn mir wurde schwindlig bei dem Gedanken, dieses Kind könnte von Joni sein, und vielleicht war es ja das, was er mir zu Hause erzählen wollte, und sie brachte mir ein Glas Wasser, verschwand mit dem Kleinen im Flur und kam kurz darauf ohne ihn zurück. Er ist eingeschlafen, verkündete sie mit einem siegreichen Lächeln, und ich sagte nicht, vor einer Minute war er doch noch vollkommen wach, schließlich hatte ich seine braunen Augen gesehen, mir war klar, daß sie ihn absichtlich versteckte, aber ich hatte keine Möglichkeit mehr herauszufinden, ob die Ähnlichkeit wirklich oder nur eingebildet war. Ich wollte sie fragen, sag mal, ist dieses Kind zufällig von meinem Mann, aber ich genierte mich und begann, ihr alle möglichen Fragen zu stellen, um ein Bild von ihrem Leben zu bekommen, und ich fragte auch, wie alt der Junge sei und wie er heiße, und alles, was sie sagte, vergaß ich sofort wieder, und dann sagte ich auf eine gespielt spontane Art, er sieht dir überhaupt nicht ähnlich, und sie lächelte und sagte, ja, er sieht seinem Vater ähnlich, und ich konnte mich nicht beherrschen und fragte, hast du ein Foto von beiden zusammen, und sie sagte, nein, ich habe es noch nicht geschafft, beide zusammen zu fotografieren, und ich fühlte, daß ich den Kleinen noch einmal sehen mußte, und sagte deshalb, ich glaube, ich höre ihn weinen, und sie lauschte und sagte, nein, ich höre nichts, nur Schritte draußen, und ich drehte mich schnell um und blickte durch das Guckloch in der Tür und hoffte, er wäre es nicht.
Durch das Guckloch sah er kurz und breit aus, weniger anziehend, weniger furchterregend, sogar ein wenig gebeugt, denn er schleppte einen Haufen Plastiktüten, wie eine alte Frau, die vom Markt zurückkommt, er seufzte und drehte mir einen breiten Arsch zu, wühlte in der Tasche nach dem Schlüssel, und es fehlte ihm nur ein Kopftuch. Warum hatte er so viel eingekauft, man hätte denken können, er bereite eine Party vor oder ein festliches Essen, aber was hatte er zu feiern, und schon war ich für sie gekränkt, für seine Frau, die dort immer weiter schrumpfte, während er hier fraß und fett wurde,
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