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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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die ich ihm ins Ohr flüstern könnte, ganz diskret, kommen Sie doch für einen Moment hinauf in die Wohnung Nummer drei, würde ich sagen, Sie glauben nicht, was sich dort alles abspielt, unsichtbar zwar, aber Sie haben doch Geräte, um solchen Dingen auf die Spur zu kommen, ich nicht, leider, sonst würde ich Ihnen bestimmt nicht die Mühe machen. Sie haben düstere Räume, um Verhöre durchzuführen, komplizierte Lügendetektoren, Gefängnisse, und was habe ich? Augen und Ohren, ein kurzes Gedächtnis, menschliche Bedürfnisse und große Hemmungen, sonst nichts, und glauben Sie ja nicht, daß es niemanden gibt, der das ausnützt. Sie würden staunen, wie sehr. Er war jung, jünger als ich, mit einem glatten, dunklen Gesicht und einem angenehmen Lächeln, nachdem er gepfiffen hatte, lächelte er stolz, und sein Blick blieb einen Moment lang an mir hängen. Bestimmt hat er zu Hause eine junge Frau und ein Baby, sie war viel zu jung, ohne das Baby hätten sie nicht geheiratet, aber jetzt war es zu spät für Reue, vor allem weil sie eine gute Frau war, ausreichend gut. In zwanzig Jahren würde er sie wohl wegen eines jungen Mädchens verlassen, aber für die nächsten zwanzig Jahre war er erst mal versorgt, sie auch, denn sie wußte nicht, was ich wußte, und plötzlich beneidete ich sie, die Frau des Polizisten, weil sie erst in zwanzig Jahren verlassen werden würde und ich heute.

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    7
    Unterwegs überlegte ich, wie sehr ich doch den Weg dahin haßte, jedes einzelne Verkehrsschild und jede Ampel und jeden Laden, all diese Zeugen meiner Erniedrigung, meiner dummen Sturheit, und am meisten haßte ich jenes Haus, dem mein Herz entgegenschlug und das mein Gesicht zum Erröten brachte, noch bevor ich die Tür erreicht hatte, das Haus mit den Sträuchern, die es verbargen, und den Bienen, die sich in den Sträuchern verbargen, ein Haus, das viel zu verstecken hatte, ein Haus, das sich schämen sollte, ein Haus, das ein handfestes Erdbeben verdient hatte, ein Haus mit einer dicken Tür und einem bürgerlichen Namensschild, Even, und ich wunderte mich, daß sie wirklich einmal hier gelebt hatte, so gut fügte sie sich ins Krankenhaus ein, als wäre dort ihr Zuhause, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß sie diese Treppe hinaufgegangen war und besitzergreifend ihre Schlüssel gesucht hatte. Ich wußte, daß er nicht dasein würde, trotzdem war ich gekommen, um beschämt vor der verschlossenen Tür zu stehen, während er hingebungsvoll den Rollstuhl seiner Frau durch den endlosen Kreis der Krankenhausflure schob, als könnte ich, indem ich vor der Tür stand, indem ich mich auf die kalte Treppe setzte, indem ich nicht nach Hause zurückkehrte, dem schlimmen Plan entgehen, von dem mir Joni mit seinem feuchten, orangefarbenen Mund hatte berichten wollen.
    Ich saß auf der Treppe, betrachtete gelangweilt das immer dunkler werdende Gemäuer des gegenüberliegenden Gebäudes, und aus meiner Langeweile wurde Furcht beim Anblick der Schatten, den die Blätter darauf warfen, ein düsterer, böser Tanz. Am Baum sahen sie noch ganz normal aus, aber ihre Schatten auf der Wand waren erschreckend, und ich erinnerte mich daran, daß ich schon einmal so dagesessen hatte, genauso allein, auf der Treppe unseres Hauses, am Winteranfang, darauf wartend, daß mein Vater oder meine Mutter aus dem Krankenhaus kommen, etwas zu essen machen und mir erzählen würde, was die Ärzte gesagt hatten.
    Immer verbrachte einer von beiden die Nacht im Krankenhaus, bei meinem kleinen Bruder, und der andere kam zu mir, und ich wartete und folgte dem Tanz der Blätter auf der Wand des Nachbarhauses, der wilder und wilder wurde, immer beängstigender, und versuchte aus diesem Tanz zu erraten, wann sie kommen würden. Aus dem Fenster der Nachbarn drang flackerndes Kerzenlicht und warf gelbe Strahlen auf mich, es war Chanukka, die zweite oder dritte Kerze, und plötzlich sah ich sie von weitem kommen, beide, und erschrak, denn schon einen Monat lang hatte ich sie nicht mehr zusammen gesehen, seit mein Bruder krank geworden war, was war passiert, daß er sie auf einmal nicht mehr brauchte. Ich betrachtete flehentlich die Blätter, dann wieder die Straße und hoffte, es wäre vielleicht der Schatten gewesen, der sie verdoppelt hatte, aber allmählich trennten sich die Gestalten voneinander, der Abstand zwischen ihnen wurde größer, denn meine Mutter lief auf mich zu, während mein Vater langsam ging, fast als bewege er sich rückwärts, sie rannte wild,

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