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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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mit einer gebrochenen Nase fremde Wohnungen geputzt hatte, aber ich wollte nur die eine Frage stellen, die mich drückte und mich heute dazu gebracht hatte, meine Eltern aufzusuchen, und ich wußte nicht, wie ich sie formulieren sollte, und am Schluß sagte ich, sag mal, wessen Freund warst du eigentlich, der von meiner Mutter oder der von meinem Vater? Er lachte und zog seine Zigaretten aus der Tasche, steckte uns beiden eine an und sagte, das ist, als würdest du ein Kind fragen, wen hast du lieber, deinen Vater oder deine Mutter, und ich sagte, aber du bist kein Kind, und er sagte, trotzdem werde ich dir wie jenes Kind antworten, beide, das heißt, ich war der Freund von beiden. Aber von wem mehr, beharrte ich, und er sagte, die Dinge ändern sich, das weißt du doch. Ich habe gedacht, daß sie dich nicht ausstehen kann, sagte ich, und er sagte, ja, die Dinge ändern sich. Aber ich ließ nicht locker, wann haben sie sich geändert, wann habt ihr aufgehört, Freunde zu sein, und er seufzte, das weiß ich nicht mehr genau, nach deiner Geburt, glaube ich, ich war in Frankreich und kam fast nie nach Israel, ich heiratete, die Beziehung kühlte ab, so ist das, die Dinge ändern sich, er wiederholte den Spruch wie eine Parole, und ich blieb dabei, ja, aber so sehr, daß sie sich krank stellt, nur um dich nicht zu sehen? Daß sie böse wird, wenn dein Name fällt? Ich weiß nicht, er machte eine unbehagliche Bewegung, das ist ihre Sache, nicht meine und nicht deine, und plötzlich stand er auf und brachte noch einen Lappen und begann um mich herum sauberzumachen. Ich hob die Beine, wie ich es früher getan hatte, wenn meine Mutter den Boden wischte, während ich krank zu Hause war und erstaunt das Leben beobachtete, das sich sonst ohne mich abspielte, das Leben eines normalen ruhigen Vormittags und dabei doch so schwer, als wäre alles, was meine Mutter tat, mehr, als es in Wirklichkeit war, Putzen war mehr als Putzen, das Mittagessen kochen mehr als das Mittagessen kochen, und all diese bedeutungsschweren Tätigkeiten wurden Tag für Tag erledigt, während ich weit weg war, in der Schule.
    Er rollte den Staubsauger zur Seite, nahm die Teile mit geübten Bewegungen auseinander, verstaute alles im Schrank und hielt mir die Hand hin, um mir aufzuhelfen, damit er auch die Stelle saubermachen konnte, auf der ich gelegen hatte, und tatsächlich waren da Blutflecken, man hätte glauben können, jemand wäre hier ermordet worden, aber er putzte kaltblütig alles weg, und bald war in seiner Wohnung nichts mehr von Blut zu sehen, nur in meinem Gesicht schwoll meine Nase an wie ein Ballon. Neben der Tür war ein Spiegel, und ich näherte mich ihm langsam und vorsichtig, um im richtigen Moment zurückweichen zu können, und sah eine häßliche große Wunde mitten in meinem Gesicht, und er stand plötzlich neben mir, mit einem feierlichen Lächeln, als stünden wir vor einem Pressefotografen, und ich betrachtete prüfend unsere Gesichter, erschrak einen Moment lang darüber, wie wenig sie zusammenpaßten, wie Fremde sahen wir aus, Fremde in einem gemeinsamen Rahmen, als stammten wir von verschiedenen Rassen, er mit seinem dunklen Gesicht und den vom Alter hellen Haaren und ich mit meinem hellen Gesicht und den dunklen Haaren, er sah aus wie ein Schatten, so schwarz neben mir, und ich weiß wie ein Geist. Der Spiegel betonte eine gewisse Unregelmäßigkeit in seinem Gesicht, die sonst kaum auffiel, einen unangenehmen Mangel an Symmetrie, der auf mein Gesicht ausstrahlte, denn sonst war niemand im Spiegel zu sehen, und für einen Moment sah es aus, als käme die Unregelmäßigkeit von mir, ich bewegte die Lippen, um sie zu vertreiben, denn wenn es nur zwei Menschen in einem Spiegel gibt, ist es unmöglich zu wissen, wer regelmäßig und wer unregelmäßig ist, aber dann war plötzlich alles in Ordnung, denn ich blieb allein im Spiegel. Er drehte sich um, ging in die Küche und begann seine Einkäufe wegzuräumen, und ich hörte ihn ungeduldig sagen, mach dir keine Sorgen, der Knochen ist nicht gebrochen, plötzlich hatte er die ganze Sache abgeschüttelt und wies offensichtlich alle Verantwortung weit von sich.
    Ich stand vor dem Spiegel, sah meine geschwollene Nase, deren Anmut verschwunden war, und fragte anklagend, erwartest du Gäste, als sei es ein Verbrechen, in seiner Situation Leute einzuladen, und er überraschte mich und sagte, ja, und machte sich sogar die Mühe, ins Detail zu gehen, und erklärte mir, daß Verwandte von

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