Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
das Geheimnis war, nichts anderes, ich spürte die Erleichterung im ganzen Körper, ich küßte ihn und sagte, ich glaube es nicht, wie ist dir das eingefallen, wieso habe ich nichts gemerkt, und einen Moment lang liebte ich meinen Vater und sogar meine Mutter, mir kam es wie ein Familienprojekt vor, verspätete Flitterwochen, fünf Jahre nach der Hochzeit, und fast hätte ich vorgeschlagen, daß meine Eltern mitkommen und dort auf uns aufpassen sollten, denn plötzlich bekam ich Angst vor Istanbul.
Ich stellte mir die Stadt wie einen riesigen, bunten, lärmenden Markt vor, in den man leicht hinein-, aber nur schwer wieder herauskam, und bestimmt wimmelte es dort von bedauernswerten Paaren, die in ihren Flitterwochen hierhergekommen waren und den Rückweg nicht hatten finden können, sie sind hungrig und erschöpft, alle orientalischen Delikatessen sind vor ihren Augen ausgebreitet, aber sie haben kein Geld, Tage und Wochen in diesem riesigen, unendlichen Irrgarten, und niemand versteht ihre Sprache, einer deutet nach Osten, der andere nach Westen, wieder ein anderer nach Norden und noch ein anderer nach Süden, und alles sieht gleich aus, es gibt keine Wegweiser, und die Verkaufsstände sind nicht zu unterscheiden, der Himmel ändert sich nie, überall Türme von Moscheen, die zu Kirchen geworden sind, oder umgekehrt, und die Paare, die sich aufgeregt und verliebt auf den Weg gemacht hatten, weinen vor Haß einer am Hals des anderen, denn jeder ist im Innersten seines Herzens davon überzeugt, daß der andere schuld ist. Sie sagt sich, wenn ich einen fähigeren Mann hätte, hätte er mich schon längst von hier weggebracht, und er sagt sich, bestimmt weiß sie den Weg und sagt mir absichtlich nichts davon, sie stellt mich auf die Probe, ich soll ihr beweisen, was ich kann, und ihre Heimat scheint sich immer weiter zu entfernen, und ich sah Joni entsetzt an und sagte, vielleicht sollten wir doch lieber anderswohin fahren.
Aber gleich darauf dachte ich, so gesehen sind alle Orte gleich, und wer es nicht aushält, soll zu Hause bleiben. Komm, machen wir Flitterwochen zu Hause, sagte ich mit meiner verführerischsten Stimme, wir gehen eine ganze Woche nicht aus dem Haus, wie am Anfang, wir gehen in den Zimmern spazieren, wir sind die ganze Zeit zusammen, aber er lächelte enttäuscht und fragte, warum, wo liegt das Problem, und mit weinerlicher Stimme sagte ich, ich habe Angst, daß wir auf dem Markt von Istanbul verlorengehen, und er umarmte mich, wie man ein zurückgebliebenes Kind umarmt, meine Angst weckte seelische Kräfte in ihm, und er sagte, mach dir keine Sorgen, ich lerne schon seit einem Monat alles über die Stadt, und wedelte mit einem bunten Reiseführer, den er aus der Hosentasche gezogen hatte. Doch ich gab nicht so schnell nach und sagte, aber woher weiß man, ob man diesem Führer glauben darf? Vielleicht ist er Teil einer Täuschung? Hast du schon von jemandem gehört, der mit diesem Reiseführer losgefahren und heil zurückgekommen ist? Und Joni wedelte weiter in meine Richtung, als wollte er eine Fliege verscheuchen, wie immer überzeugt, daß ich eigentlich nur Spaß machte, und sagte, die Leute fahren ständig fort und kommen heil wieder zurück.
Er stieg zum Stauraum hinauf und warf den Koffer herunter, den wir zur Hochzeit bekommen hatten, er fiel mir direkt auf die Füße, das tat weh, aber ich sagte kein Wort, um nichts kaputtzumachen, ich befreite den Koffer vom Staub und begann dann, im Schrank zu wühlen, und ich fragte, ob es dort kalt oder warm wäre, und er sagte, ungefähr wie hier, ein bißchen kälter, und ich entdeckte in der Schublade das fleischfarbene sexy Nachthemd, das ich mal gekauft hatte, und einige durchsichtige Unterhosen und besondere Strumpfbänder, die vergessen im Schrank herumlagen, und stopfte sie in den großen Koffer, vielleicht würden die byzantinischen Nächte ja die Lust wecken und den Zauber zulassen, den zu hegen und zu pflegen wir nicht geschafft hatten, und als ich einige Pullis herauszog, entdeckte ich noch andere Schätze, die ich unbewußt für eine passende Gelegenheit dort versteckt hatte, schwarze Unterwäsche, Netzstrumpfhosen, Kniestrümpfe aus durchsichtiger schwarzer Seide und gewagte Büstenhalter, und auch sie stopfte ich in den Koffer, als wolle ich dort, in Istanbul, mindestens als Luxushure arbeiten, und ich lachte, als ich Joni sah, der ernsthaft und bemüht seine Flanellhemden zusammenlegte, die noch aus seiner Armeezeit stammten,
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