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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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daß er sich an ihn erinnerte, und war ein bißchen stolz darauf, Ja’ara, und ich sagte, ja, Arie, und er sagte, ich dachte, du bist jetzt hier, und ich hörte, wie mein Blut stockte, wie es vor Freude und vor Trauer nicht mehr strömte, und ich fragte, bist du allein, obwohl ich im Hintergrund viele Stimmen hörte, und er sagte, in einem gewissen Sinn bin ich allein, und ich fragte, wann fahren die wieder weg, und er sagte, bald, am Abend, und er zögerte einen Moment und fragte, kommst du heute nacht zu mir? Und ich sagte langsam, die Worte taten mir im Mund weh, willst du wirklich, daß ich komme? Und er sagte, ja, und da sagte ich, gut, ich werde es versuchen, und legte auf.
    Zitternd stand ich neben dem Telefon und dachte, wie kann er es wagen, wie kann er es wagen, mir mit seiner Trauer meine Flitterwochen zu zerstören, und dann dachte ich, er hat keine Schuld, er will nur mich, das ist es doch, worauf ich gewartet habe, vom ersten Moment an, als ich ihn an der Tür meiner Eltern stehen sah, aber dann fiel mir sofort ein, was meine Mutter gesagt hatte, oder vielleicht war es Tirza, es wird keine Woche dauern, da kommt eine andere zu ihm, und vielleicht war es nur Zufall, daß ich es war, vielleicht wollte keine andere, und wenn ich diese Nacht zu ihm ging, was würde dann mit Joni und unseren Flitterwochen sein, und wenn ich nicht ging, was würde dann mit mir sein?
    Angespannt und verwirrt kehrte ich ins Badezimmer zurück, versteckte mich hinter dem dichten Dunst, ließ mich auf den Klodeckel sinken, und wie im Traum hörte ich seine Stimme, die von weit weg kam, aus einem tiefen Brunnen, wer war es, fragte er, und ich sagte, ach, nicht wichtig, ich hatte nicht die Kraft, mir etwas auszudenken, und ich dachte, jetzt kommt der Tag des großen, furchtbaren Gerichts, der Tag, dem man sich unterwerfen muß. Ist etwas passiert, fragte er, mit einer feuchten, klaren Stimme, und ich sagte, nichts, nein, es ist nichts passiert, und ich dachte an dieses beschissene Leben, beschissen ist gar kein Ausdruck, denn wenn es einem schon mal zwei Geschenke anbietet, dann muß natürlich eines auf Kosten des anderen gehen.
    Und was ist, wenn ich in seiner Trauer bei ihm sein, aber auch nach Istanbul fahren will, warum muß ich wählen, ich hatte nicht gedacht, daß es so schnell kommen würde, ich hatte nicht geglaubt, daß es überhaupt kommen würde, und jetzt war ich nicht vorbereitet, ich war unfähig, mich zu entscheiden. Aber in diesem Fall war auch das Nichtentscheiden eine Entscheidung, denn wenn ich den ersten Moment verpaßte, in dem er mich wirklich brauchte, würde ich ihn vielleicht für immer verpassen, nie wieder würde ich seine rauhe Stimme so weich klingen hören, Ja’ara, hatte er gesagt, Ja’ara, komm heute nacht zu mir.
    Ich dachte an all die Tage, die vergangen waren, seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte, wie ich ihn auf den Straßen und in den Geschäften gesucht hatte, wie ich ihn gewollt hatte und wie ich wollte, daß er mich wollte, und nun war es soweit, was spielte es für eine Rolle, warum und wie, Hauptsache, er wollte mich jetzt, und Joni sagte, Handtuch, und ich ging hinaus und stand vor dem Schrank und wußte nicht mehr, was ich eigentlich suchte, ich überflog alle Fächer und hoffte, es würde mir wieder einfallen, ein Fach nach dem anderen betrachtete ich, als würde ich mich von allen verabschieden, und mir fiel ein, wie wir den Schrank selbst zusammengebaut hatten, und deshalb war er schief, immer wieder sagte Joni, wir müßten ihn eigentlich auseinandernehmen und neu zusammensetzen, und ich spottete dann regelmäßig, das ist es, was dir Kummer macht, und er sagte, dich müßte man auch auseinandernehmen und neu zusammensetzen, du bist auch schief, und da kam er von hinten, nackt und tropfend, und sagte wütend, was ist mit dir, wo bleibt mein Handtuch, und ich murmelte, Entschuldigung, ich suche das Fach mit den Handtüchern, und er stieß mich fast grob zur Seite und sagte, da ist es doch, vor deinen Augen, was hast du denn, und er nahm sich ein Handtuch, aber auch er schien vergessen zu haben, was er damit hatte tun wollen, und stand nackt und tropfend mit dem Handtuch in der Hand da.
    Ich betrachtete seinen Körper, ein Fach nach dem anderen, er kam mir wie ein Schrank vor, auf jeden Körperteil hatte ich etwas anderes geräumt, ich fing unten an, bei seinen flachen großen Fußsohlen, darüber die erstaunlich schmalen Knöchel, erst jetzt bemerkte ich mit Bedauern ihre

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