Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
ihm alle möglichen Fragen, warum ausgerechnet Istanbul und wie lange er diese Überraschung schon vorbereitet habe und so weiter, wie eine berufsmäßige Journalistin, die immer so tun muß, als wäre sie persönlich an allem interessiert, und er antwortete ausführlich und gutwillig, sprach mit vollem Mund, und ich versuchte ihn zu ermuntern und sagte mir, das ist dein Leben, es könnte viel schlimmer sein, aber ich hatte das Gefühl zu versinken, und er beschrieb übertrieben genau sein inneres Schwanken zwischen Istanbul und Prag und wie er in dem Moment, als er sich für Istanbul entschied, gewußt hatte, daß dies die richtige Entscheidung war, obwohl er zuvor eigentlich mehr zu Prag geneigt hatte, aber er hatte gedacht, mich würden die Basare begeistern, die Lederkleidung, und je länger er sprach, um so gereizter wurde ich, denn ich hätte Prag vorgezogen, und warum hatte mich niemand gefragt? Immer war ich neidisch auf die Frauen gewesen, die von ihren Ehemännern mit solchen Geschenken überrascht wurden, aber jetzt erlebte ich, wie autoritär das war, wie rücksichtslos, denn ich zum Beispiel hätte lieber das alte, edle Prag besichtigt, und ich wäre lieber zu einem anderen Zeitpunkt gefahren, nicht gerade jetzt, wo ich zum Beispiel Beileidsbesuche machen mußte, und ich fühlte, wie die Übelkeit wieder in mir aufstieg, und ging zur Toilette, und dann wusch ich mir vor dem kleinen Spiegel das Gesicht mit kaltem Wasser, wie oft war es möglich, das Leben neu anzufangen, wieviel konnte man ausprobieren?
Ich ging zu ihm zurück, er war erschrocken, wegen meines nassen Gesichts glaubte er, ich hätte geweint, und er fragte, habe ich etwas gesagt, was dich verletzt hat? Es tut mir leid, Wühlmäuschen, ich gebe mir solche Mühe, und nichts mache ich richtig, und ich wollte zu ihm sagen, dann gib dir doch weniger Mühe und denke mehr nach, aber ich wußte selbst, daß das nicht stimmte. Wahrscheinlich stimmte es nicht, was würde es schon bringen, wenn er mehr nachdachte, was ihm fehlte, war nicht, mehr nachzudenken, sondern anders zu sein, und vielleicht würde auch das nicht reichen, denn ich war es, die anders sein müßte, aber wie stellte man so etwas an? Vielleicht würde es mir in Istanbul gelingen, ich würde anders sein, und er würde anders sein, das Leben würde anders sein, und plötzlich kam mir diese Reise wie eine Aufgabe vor, keine Vergnügungsreise, sondern eine Strafe, eine Reise, die schmiedet und zusammenschweißt, und ich empfand, wie vor dem Eintritt in die Armee, ein Gefühl von Angst und Stolz, und mit aufrechtem Rücken und energischen Schritten, links, rechts, links, rechts, räumte ich den Tisch ab. Er beobachtete mich gespannt, folgte wie immer jeder meiner Bewegungen, und dann sagte er, er gehe jetzt unter die Dusche, und seine Stimme klang feierlich und bedeutungsvoll, als tue er es meinetwegen, du kannst neben mir sitzen, wie früher, und ich erinnerte mich, daß ich früher, als wir noch Hoffnung hatten, oft auf dem Klodeckel gesessen hatte, während er duschte, wir unterhielten uns, einfache Gespräche, was war da und was war dort, das waren die Tage unserer Liebe, dachte ich, und wenn er stirbt, wird es das sein, wonach ich mich zurücksehne, nur das, nicht wirklich nach ihm, sondern nach dieser Nähe, und ich versuchte mich zu erinnern, wie seine Stimme vor dem Hintergrund des rauschenden Wassers geklungen hatte, ob sie leblos und ohne Freude war, und ich dachte, nein, damals hatte er eine schöne, lebendige Stimme, eine Stimme voller Hoffnung, aber wie lange konnte man hoffen?
Im Badezimmer roch es gut, und ich lächelte bei dem Gedanken, daß ich seit neuestem viel Zeit damit verbrachte, Männern beim Duschen zuzuschauen, ich konnte ja eine Art Duschbegleiterin werden, und er zog den Vorhang zurück und lächelte mich an, und seine Locken wurden im Wasser lang und gerade, und er sagte, ich glaube, das Telefon klingelt, geh doch hin, und ich sagte, ist doch egal, laß es klingeln, und er sagte, das ist bestimmt mein Vater, der sich verabschieden will, und ich ging in das trockene, kalte Zimmer, und das Telefon klingelte unaufhörlich, und ich hatte keine Lust, den Hörer aufzunehmen, aber am Schluß tat ich es doch, und ich hörte die heisere, verrauchte Stimme, die geliebte, die gehaßte, die brennende, die verlockende Stimme, und er sagte, Ja’ara. Ich sagte absichtlich nichts, denn ich wollte ihn noch einmal meinen Namen aussprechen hören, ich wunderte mich sogar,
Weitere Kostenlose Bücher