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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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holen, ich konnte nichts mehr tun, absolut nichts. Ich stand auf und sah, daß mein Netzgewand zerrissen war, und auf meinem Körper waren Zeichen von seinen Händen, und alle Muskeln taten mir weh wie nach einer erbarmungslosen Gymnastikstunde, und ich humpelte zum Badezimmer und duschte mit heißem Wasser, bis ich fast nicht mehr atmen konnte, und dann cremte ich mir den ganzen Körper ein und zog das hautfarbene Nachthemd an, und mehr als das schaffte ich nicht. Die Rolläden waren heruntergelassen, und ich wagte nicht, sie zu öffnen, niemand sollte sehen, daß sich hier eine Person versteckte, aus der Wohnung drangen dumpfe Geräusche an mein Ohr, ab und zu konnte ich seine heisere, beherrschte Stimme identifizieren, zwischen anderen Stimmen, meist weiblichen. Ich ging zur Tür, um besser zu hören, versuchte vorsichtig, sie einen schmalen Spalt breit zu öffnen, und da entdeckte ich, daß ich eingeschlossen war.
    Ich lehnte mich an die Tür, kochend vor Wut und Scham, was bildete er sich ein? Daß er ein türkischer Sultan war? Mich in seinem Schlafzimmer einzuschließen, als wäre ich sein Eigentum, und wer konnte schon wissen, was sich in den anderen Zimmern abspielte, möglicherweise war in jedem Zimmer eine andere junge Frau eingeschlossen, die mit ihm seinen frischgebackenen Witwerstand feierte, im Wohnzimmer versammelten sich die Kondolenzbesucher und wischten sich Tränen aus den Augen, und im übrigen Haus war der Teufel los. Ausgerechnet ich, die es noch nicht einmal wagte, die Klotür abzuschließen, fand mich eingesperrt in seinem Schlafzimmer, abhängig von seiner Gnade, im wahrsten Sinne des Wortes, und wenn er mich vergaß, konnte ich hungrig und durstig bis mitten in der Nacht warten, und ich durfte noch nicht mal einen Ton von mir geben, damit niemand erfuhr, daß ich hier war, um nicht das Andenken der Verstorbenen und ihres Bettes zu entweihen.
    Vor lauter Verzweiflung ging ich zurück zur Dusche, und dort trank ich Wasser aus dem Hahn und wusch mir das Gesicht, um mich zu beruhigen, und dann kroch ich wieder ins Bett und versuchte, alles mit anderen Augen zu sehen, was für eine Wahl hatte er eigentlich gehabt, er konnte mich schlecht von innen einschließen, es sei denn, er hätte mich geweckt, und vermutlich wollte er mich schlafen lassen, und die Tür offen zu lassen war auch unmöglich, es hätte gereicht, wenn die Mutter oder die Schwester hereingekommen wären, um ihre Mäntel irgendwohin zu legen oder um sich ein wenig auszuruhen, sie hätten mich sofort entdeckt, und bestimmt wartete er darauf, daß die Luft rein war, um mir etwas zu essen und zu trinken hereinzuschmuggeln, so wie ich damals Tante Tirza die Essensreste ihres ehemaligen Ehemanns und seiner neuen Frau ins Schlafzimmer geschmuggelt hatte. Ich versuchte herauszufinden, was draußen vor sich ging, und merkte zu meinem Leidwesen, daß der Lärm nur noch zunahm. Fast unaufhörlich ging die Tür auf und zu, und mir wurde klar, daß es nur eine geringe Aussicht darauf gab, daß er bald hereinkäme, und trotzdem fing ich plötzlich an zu zittern, als ich Schritte hörte, die näher kamen, und sah, wie sich die Klinke ein paarmal auf und ab bewegte, bis die Versuche enttäuscht aufgegeben wurden, und ich wurde rot vor Angst und Scham, was für ein Glück, daß ich eingeschlossen war, denn jeder, der pinkeln wollte, wenn die Gästetoilette besetzt war, würde versuchen, hier einzudringen, und trotzdem hätte ich es vorgezogen, der Schlüssel wäre bei mir und nicht bei ihm, so hätte ich hinausgehen und mich unter die anderen mischen können, als wäre ich ebenfalls nur jemand, der einen Beileidsbesuch macht, schließlich hatte ich als letzte mit ihr gesprochen, auch wenn niemand davon wußte, war es so, auch wenn es nicht hätte geschehen sollen, war es geschehen. Es hätte mir nichts ausgemacht, die Bewirtung zu übernehmen, oder mindestens das Servieren, ich hätte für alle Kaffee gekocht, zuerst für mich, was hätte ich in diesem Moment für eine Tasse Kaffee gegeben, also suchte ich nach einem Fluchtweg, wie eine echte Gefangene, die Wohnung war im ersten Stock, ich könnte durchs Fenster hinaussteigen und ganz offiziell zur Tür wieder reinkommen, ich probierte, am Rolladen zu ziehen, um zu sehen, ob es Gitter vor dem Fenster gab, und es gab tatsächlich welche, sogar ziemlich dichte, noch dazu herzförmige, was wirklich albern aussah, und ich schaute hinaus und sagte zu mir, das hast du dir selber eingebrockt, Süße,

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