Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
Tami hatte sich offenbar beruhigt, denn ich hörte sie nicht mehr, erst ein paar Minuten später erhob sie wieder die Stimme und sagte, stellt euch das mal vor, als hätte man mir gesagt, daß mein Mann eigentlich eine Frau ist. Mir wurde plötzlich schwarz vor den Augen, das ganze große leere Zimmer drehte sich um mich, ich versuchte, ins Bett zurückzukommen, und stieß auf dem Weg gegen meinen Koffer und fiel fast zu Boden, und dann stürzte ich mich aufgeregt über ihn, als wäre er Joni, eine Erinnerung aus meinem früheren Leben, als ich noch frei war und nach Belieben kommen und gehen konnte, und ich wühlte liebevoll in den Sachen, roch den Duft meines Zuhauses, der mir jetzt wie der Duft der Freiheit vorkam, und zwischen der Reizwäsche stieß ich auf einen harten Gegenstand, den ich gedankenlos hineingestopft hatte, das einzigartige Buch, das mir der Dekan aus seiner Privatbibliothek geliehen hatte, mit den Geschichten von der Zerstörung des Tempels.
    Ich umarmte es innig und begann darin zu blättern, entdeckte glücklich meine alten Freunde, so wie man in einem fremden Haus plötzlich ein bekanntes Bild entdeckt, die Ehebrecherin, die aus der Hand ihres Sohnes, des Hohepriesters, den Becher empfing und ihn austrank, während er vor ihr stand, schreiend und weinend, nicht weil er an ihre Unschuld glaubte, sondern an ihre Schuld, und ich traf die Tochter des Priesters, deren Vater vor ihren Augen abgeschlachtet wurde, durch ihre Schuld, und als sie schrie, tötete man auch sie und mischte ihr Blut mit seinem, und so verschwand vor meinen Augen eine ganze Familie, auch Marta, die Tochter des Bitus, traf ich wieder und die anderen Töchter Zions, die vergeblich im Straßenschmutz nach Essen suchten und Säulen umarmten und tot zusammenbrachen, und zwischen ihnen krochen Säuglinge herum, jeder kannte seine Mutter und kletterte auf sie und versuchte vergeblich, Milch zu saugen, bis er im Schoß seiner Mutter starb, und ich stellte mir die Nachbarin mit ihrem Säugling vor, wie sie tot vor ihrer Wohnungstür liegt, und ihr Sohn kriecht um sie herum, das Schafsgesicht blaß und dünn, und über ihnen der Schatten des Propheten Jeremia, der von Anathot nach Jerusalem hinaufsteigt und über die abgeschlagenen Gliedmaßen weint und auf seinem Weg eine schwarzgekleidete Frau trifft, die schreit und weint und um Trost bittet, und er schreit, wer ihn denn tröste, genau wie wir es in dieser Nacht getan hatten, wir hatten um Trost geschrien, er in meine Ohren und ich in seine.
    Und am meisten freute ich mich, die Frau des Zimmermanns zu treffen, die den Gehilfen geheiratet hatte, wieder und wieder las ich die Geschichte, versuchte zwischen den wenigen Worten herauszufinden, was sie wirklich empfunden hatte, als ihr Mann sie bediente und seine Tränen in die Gläser fielen, in dieser Stunde, in der das Urteil unterschrieben wurde. Ich drückte das Buch an mich und öffnete es weit, damit es mir eine papierene Umarmung zurückgeben könnte, und ich zog die Decke über uns beide und versuchte zu schlafen, um die Zeit herumzubringen, wie man es an Jom Kippur macht, und wahrscheinlich dämmerte ich ein, bis ich das Quietschen eines Schlüssels hörte und mich schnell aufrichtete, damit er ja nicht glaubte, ich schliefe und deshalb wieder verschwand, und er stand vor mir und legte den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß ich leise sein sollte, dann setzte er sich, mit einem wilden Blick, auf den Bettrand.
    Ich blickte mich um, um zu sehen, ob er mir etwas zu essen gebracht hatte, aber seine Hände waren leer und kalt auf meinen Brüsten, und sein Gesicht verzerrte sich in einer Art konzentrierten Betrachtens, es kam näher und näher, bis ich ihn vor lauter Nähe schon nicht mehr sehen konnte, er knöpfte schnell mein Nachthemd auf, fuhr mir mit den Händen grob über den Körper und legte meine Hand auf den Schlitz seiner schwarzen Trauerhose und flüsterte, wie sehr willst du ihn, Süße, und ich flüsterte, sehr, und er sagte, zeig mir, wie sehr, und ich verstand nicht genau, was er meinte, wie konnte man so etwas zeigen, aber ich wollte ihn zufriedenstellen und rieb seine Hose mit gleichmäßigen Bewegungen, und er stand auf und sagte, du hast mich nicht überzeugt. Was soll ich tun, fragte ich und weinte fast, und er sagte, ich will gar nichts, was willst du, und wie eine gute Schülerin sagte ich, dich, und er sagte, dann überlege dir, wie du mich überzeugen kannst, du hast heute nacht noch eine Möglichkeit, und

Weitere Kostenlose Bücher