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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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er machte ein paar Schritte auf die Tür zu, und ich rannte ihm nach, nackt, und sagte, du kannst mich nicht einfach hierlassen, ich will raus, und er sagte, aber die ganze Familie ist im anderen Zimmer. Dann bring mir wenigstens etwas zu essen, bat ich, und er sagte, erst zeig mir, wie sehr du mich willst, und mit plötzlicher Wut kniete ich mich auf den Boden und stürzte mich auf ihn, wie ein ausgehungertes Tier, das beißt und kratzt und alles verschlingt, was ihm in die Nähe kommt, und ich konnte fast nicht mehr erkennen, wo er war und wo ich war, und ich zog ihn zu Boden und sagte, komm schon, ich kann nicht mehr warten, aber er bückte sich zu mir und zog seine Hose hoch und lachte sein Fuchslachen und sagte, es ist gut, dich ein bißchen hungern zu lassen, dann kämpfst du, und ich drehte mich auf dem Boden um, ich wollte sein Gesicht nicht mehr sehen, und er lachte, heute nacht wirst du ihn bekommen, Süße, da auf dem Boden wirst du ihn bekommen, du hast mich überzeugt, daß du ihn wirklich willst.
    Ich hörte ihn weggehen und die Tür abschließen, und ich hatte keine Kraft, vom Boden aufzustehen, mein ganzer Körper tat weh vor Hunger nach ihm, vermutlich war es mir auch gelungen, mich selbst zu überzeugen, seine Abwesenheit weckte tief in mir ein viel stärkeres Gefühl als seine Anwesenheit, und zugleich begann ich mich vor ihm zu fürchten, vor seinen seltsamen Spielen, warum brauchte er sie, vielleicht war ich an einen jener Typen geraten, von denen man sich nicht abhängig machen sollte, das heißt, in deren Schlafzimmer man nicht eingeschlossen sein sollte, was wußte ich eigentlich über ihn, und trotzdem war mir klar, daß ich noch nicht weggehen würde, selbst wenn ich einen Schlüssel hätte, nicht vor der Nacht.
    Ich ging langsam ins Bett, schwer und erregt in Erwartung der Nacht, einer ganzen Nacht mit ihm, und da hörte ich ihn zurückkommen, auf den Fingerspitzen ein rundes Tablett balancierend wie ein professioneller Kellner. Auf dem Tablett befanden sich eine große Tasse Kaffee, ein Glas Orangensaft, zwei belegte Brote und ein Teller Salat, eine Schüssel mit Obst, und ich wunderte mich, wie er es geschafft hatte, das alles in zwei Minuten herzurichten, vermutlich hatte er alles schon vorher vorbereitet und wollte mich nur ein wenig verblüffen, was bezweckte er eigentlich mit seinen Spielchen, und ich mußte mich auch noch bedanken. Er stellte das Tablett auf das Bett und sagte, Room Service, und sein Gesicht hatte sich völlig geändert, plötzlich zeigte es den ruhigen und gelassenen Ausdruck eines freundlichen Onkels.
    Ich stürzte mich auf den Kaffee und das Essen, ich fühlte, wie mich beim bloßen Anblick dieses wahrhaft künstlerisch gestalteten Tabletts das Glück überschwemmte, und er nahm sich ein Stück Karotte und kaute gelangweilt darauf herum, und ich fragte, sind wir allein, und er sagte, nicht wirklich, ihre Mutter schläft im anderen Zimmer. Wieviel Uhr ist es, fragte ich, und er sagte, drei, und mir fiel ein, daß dies immer die schwerste Stunde an Jom Kippur war, um diese Zeit war die Sehnsucht nach Essen besonders groß, aber wenn man sie überwunden hatte, kam es einem vor, als könne man ewig weiterfasten, und ich bat um noch einen Kaffee, und er kam sofort mit einer roten glänzenden Thermoskanne zurück, stellte sie auf das Tablett und sagte, am Anfang habe ich Joséphine Kaffee von zu Hause in die Klinik gebracht, in dieser Thermoskanne, später ekelte sie sich davor. Ich betrachtete die Kanne und dachte, wie überflüssig diese Bemerkung war, sie zeugt von schlechtem Geschmack, was interessiert mich der Lebenslauf dieser Thermoskanne, und auch er schwieg, als sei er in traurige Gedanken versunken, und dann sagte er, damals habe ich noch geglaubt, es würde gut ausgehen, und ich fragte mit vollem Mund, wie kann so etwas gut ausgehen? Und er sagte, man hat lange nichts bei ihr gefunden, wir haben geglaubt, es wäre psychisch, sie hat über Schmerzen in den Haaren geklagt, verstehst du, hast du etwa je von einer Krankheit gehört, bei der einem die Haare weh tun?
    Nie, sagte ich und hielt es sogar für richtig, ihr zu Ehren einen Moment lang mit dem Schlingen aufzuhören, und er lachte bitter, sie hatte blonde schöne Haare, auch als sie alt wurde, blieben ihre Haare jung, ohne jedes Grau, alle waren überzeugt, daß sie die Haare färbte, und dann taten sie ihr teuflisch weh, sie weinte beim Kämmen, stell dir das vor, ich war sicher, es wäre eine seelische

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