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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Erkrankung, eine, die mit Liebe zu heilen sei, weißt du, wie schwer die Erkenntnis ist, daß es Schmerzen gibt, die nicht durch Liebe zu heilen sind? Die ganzen Jahre hatte sie gedacht, ich würde sie nicht genug lieben, und wir beide hatten die Illusion, wenn ich ihr nur genug Liebe gäbe, würde alles gut werden, und plötzlich stellte sich heraus, daß diese Liebe nichts wert war, gar nichts, jede Aspirintablette war mehr wert.
    Er sprach, als wäre er persönlich gekränkt, wie ein wütender Kain, der sich beklagt, daß seine Opfergabe von Gott nicht angenommen wird, und so saßen wir beide da und betrachteten nachdenklich die Thermoskanne, als wäre sie ihr Schädel, und er flüsterte, jetzt verstehe ich es, es war der Abschiedsschmerz ihrer Haare, sie wußten vor uns, daß sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, daß sie nicht länger in Ruhe ihr liebes Gesicht schmücken durften. Ich berührte ängstlich meine Haare, sie waren so ansteckend, diese Geschichten, und er seufzte und betrachtete mich so ernst, als verstecke sich in dem, was er erzählt hatte, eine Moral und es sei jetzt an mir, sie herauszufinden, bevor es zu spät war, und ich lächelte ihn entschuldigend an und sagte, gibt es irgend etwas Süßes? Nicht, daß es mir so sehr gefehlt hätte, aber ich wollte das Thema wechseln, und er sagte, ja, wir haben ihren Nachttisch im Krankenhaus ausgeräumt, du hast keine Ahnung, wieviel Schokolade sich dort angesammelt hat. Er ging ruhig hinaus, sogar ohne abzuschließen, und kam mit etlichen Pralinenschachteln zurück und sagte, ich muß ein bißchen aufräumen, gleich kommen wieder Leute.
    Kann ich dir helfen, fragte ich, und er sagte, ich möchte es lieber nicht, und ich sagte, warum sollte ich nicht dort mit dir sitzen, als wäre ich einfach eine Bekannte, du kannst doch Bekannte haben, und er sagte noch einmal, lieber nicht, ich habe das Gefühl, daß deine Eltern heute kommen. Ich wäre fast aus dem Bett gefallen vor Schreck, warum hatte ich nicht selbst daran gedacht, meine Mutter würde auf ein solches Ereignis doch nicht verzichten, es war erstaunlich, daß sie nicht bereits morgens aufgetaucht war, aber vielleicht hatte sie ja beschlossen, kein übermäßiges Interesse zu demonstrieren, und die Vorstellung, ich könnte da draußen von ihr erwischt werden, erschreckte mich so sehr, daß ich sofort die Decke hochzog und das Tablett wegschob, und er sagte, schlaf doch ein bißchen, es könnte sein, daß dich eine wilde Nacht erwartet.
    Ich begehrte auf, warum könnte es nur sein? Warum ist es nicht sicher? Und er lachte und sagte, heute nacht hängt es nur von dir ab, und ich hatte die Nase voll von seiner chauvinistischen Überheblichkeit und sagte, hau doch ab und fick dich selbst, du mußt niemandem einen Gefallen tun. Zu meinem Erstaunen drehte er sich wütend zu mir um und zog mir die Decke vom Körper und zischte aggressiv, sag nichts zu mir, was du nicht auch meinst, hörst du, du willst doch nicht, daß ich abhaue und mich selbst ficke, also sag so etwas nicht, wenn du nicht willst, daß ich es dir heimzahle, und ich versuchte, die Decke wieder hochzuziehen, und murmelte, was hast du, warum bist du auf einmal so empfindlich, und er ließ die Decke los und sagte, ich hasse es, wenn man einfach daherredet.
    Redest du nie einfach daher, fragte ich, und er sagte, prüfe es doch selbst, dann wirst du es schon merken, und er schaute mich enttäuscht an, wie ein Metzger, der ein mittelmäßiges Stück Fleisch erwischt hat, und ich zog mir die Decke über den Kopf und hoffte, er würde dableiben und mich ein wenig besänftigen, aber ich hörte, wie er hinausging und schnell die Tür abschloß, und wieder empfand ich Angst vor ihm, vor seinen scharfen, unerwarteten Bewegungen, vor seiner verhaltenen Gewalttätigkeit, vor seinen Spielchen mit der Ehre, die, auch wenn sie noch so kindisch sein mochten, bedrohlich waren, und das Gefühl beschlich mich, ich würde nicht mehr heil aus diesem Zimmer hinauskommen, falls ich überhaupt je hinauskam.
    Vor lauter Anspannung schaffte ich es nicht, einzuschlafen, ich lag wach im Bett, betrachtete den Stapel Pralinenschachteln und dachte, daß Joséphine bestimmt auch stundenlang wach gelegen und die Pralinenschachteln betrachtet hatte, und ich lauschte auf die Geräusche draußen und beschloß, daß ich anfangen würde zu schreien, wenn ich meine Eltern hörte, und dann würden sie mich befreien, aber draußen war es ruhig, nur das Klappern von Geschirr war zu hören,

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