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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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das ins Spülbecken geräumt wurde, dann Wasserlaufen und lautes altes Husten. Wieder versuchte ich, Joni zu erreichen, ich hörte das Klingeln, das durch unsere kleine gelbe Wohnung wanderte, vom Wohnzimmer zur Küche und zu dem kleinen Schlafzimmer mit dem schiefen Schrank, bestimmt war es um diese Uhrzeit dort dämmrig, die Bäume verbargen die tiefer stehende Sonne, und bestimmt fingen die treuen Heizkörper an zu arbeiten, luden sich langsam und zögernd mit Wärme auf, und vielleicht wartete auf dem Tischchen im Eingang ein Brief auf mich, der traurigste Brief, den ich überhaupt bekommen konnte, es lohnte sich wirklich nicht, die Wohnung zu betreten, was konnte ich mit dem Brief machen, was konnte ich überhaupt machen, was konnte ich mit diesem Leben anfangen, aus dem heil herauszukommen ich keine Chance hatte, und ich dachte, es ist wie bei einer Krankheit, wenn man ein Medikament nimmt, um das Problem zu lösen, führt das Medikament zu einem neuen Problem.
    Man nimmt eine Tablette gegen Kopfschmerzen, und die Kopfschmerzen gehen weg, doch dafür fängt ein Magengeschwür an, man nimmt ein Medikament gegen Magengeschwüre und bekommt Sodbrennen, man nimmt etwas gegen Sodbrennen, und es wird einem übel, man nimmt etwas gegen Übelkeit und bekommt Kopfschmerzen, und am Schluß kriecht die letzte Krankheit näher und findet die Tür weit offen, wie das goldene Tor im fernen Istanbul, und sie muß bloß noch die verschiedenen Enden miteinander verbinden, und es ist aus mit der Geschichte. Dir ist langweilig mit Joni, also gehst du zu Arie, und Arie ist wirklich nicht langweilig, aber er läßt dich nicht atmen neben sich, also suchst du dir jemanden, der nicht langweilig ist und der dir Platz zum Atmen läßt, und selbst wenn du so jemanden findest, stellt sich heraus, daß er Männer vorzieht, oder kleine Mädchen, und das ist noch die günstigste Möglichkeit für dich, hier herauszukommen.
    Ich überlegte, wie andere Leute das wohl schafften, nicht alle, aber ein großer Teil, so unmöglich kam es mir aus der Tiefe dieses Bettes vor, so gegen die Gesetze der Natur, wie schafften sie es, zusammenzubleiben und Kinder zu machen, und als ich das dachte, hörte ich plötzlich ein lautes Weinen und verstand, daß das Baby der Nachbarin von gegenüber aus dem Mittagsschlaf erwacht war, und mir schoß ein Gedanke durch den Kopf, vielleicht ist Joni gar nicht in Istanbul, vielleicht ist er ganz in meiner Nähe, auf der anderen Seite der Wand, mit dem schafsgesichtigen Kind und seiner Mutter, und wir verbringen unsere Flitterwochen fast am selben Ort, und wenn die Wände durchsichtig wären, könnten wir uns sehen, jeder in seinem zweiten Leben, wir könnten uns sogar freundschaftlich zuwinken und uns alles Gute wünschen, schade, daß das nicht möglich war, am liebsten hätte ich mehrere Leben parallel gelebt, ohne daß irgend etwas auf Kosten eines anderen ging, das war die Lösung für all unsere Probleme, eine Kopfwehtablette nehmen, ohne daß es zu einem Magengeschwür kommt, eine Tablette gegen ein Magengeschwür, ohne Sodbrennen als Folge, und so erwärmte ich mich an dem Gefühl einer neuen Botschaft, an der vollkommenen Erlösung, und ich fing schon an zu überlegen, wie ich sie verbreiten würde, wenn ich hier hinauskam, so könnte man, statt nach dem Tod von einer Inkarnation zur nächsten zu wandern, alles im Lauf eines einzigen Lebens schaffen, und ich war so zufrieden mit der Lösung, die ich gefunden hatte, daß ich sofort einschlief.
    Ich erwachte von einem gleichmäßigen Weinen, das mir in die Ohren drang, und ich dachte, schon wieder dieses nervige Kind, aber das Weinen war wirklich ganz nahe, und ich suchte Arie neben mir, doch er war nicht da, und erst da begriff ich, daß ich es war, daß mein Gesicht naß war und mein Mund offen stand und vom Weinen der Speichel herauslief, und aus meiner Nase lief Rotz, auch vom Weinen, kurz, mein ganzer Körper weinte. Das Zimmer war völlig dunkel, durch die Ritzen der Rolläden fiel kein Licht, nur unter der Tür zeigte sich ein blasser Streifen. Ich hörte ein Klingeln, vermutlich hatte jemand vergessen, daß es nicht üblich war, abends um diese Zeit zu klingeln, und dann hörte ich die aufgeregten Rufe von Menschen, die froh waren, einander zu treffen, und ich fühlte Haß aufsteigen, Haß gegen alle, die da draußen saßen, diese Söhne des Lichts, die, auch wenn sie hier und dort ein Problem oder irgendwelchen Ärger hatten, sich doch nicht das ganze

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