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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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heiraten, nur um mich aus ihrer Umklammerung zu lösen, und mir war gar nicht aufgefallen, daß sie schwiegen und mich anstarrten, und meine Mutter sagte, warum weinst du, und ich sagte, ihr habt nur kaltes Essen mitgebracht, dabei wollte ich etwas Warmes. Ich sagte das einfach so daher, denn genau neben uns saß eine Familie, die aßen Tscholent aus riesigen Tellern, und der Geruch beruhigte mich, und meine Mutter sagte, nichts mache ich richtig, nichts mache ich richtig, und ich wartete darauf, daß der Besuch bald vorbei sein würde, und insgeheim sagte ich mir, da siehst du, was passiert, wenn du dich nach etwas sehnst, jetzt weißt du, daß sie nie fähig sein werden, im richtigen Leben zu helfen, aber als ich mich am Tor der Militärbasis von ihnen verabschiedete, empfand ich plötzlich Mitleid bei der Vorstellung, wohin sie jetzt gingen und was sie zu Hause erwartete.
    Da hörte ich wieder meinen Vater sprechen, ich drückte das Ohr an die Tür, um alles mitzubekommen, und er sagte, vermutlich zu Tami, aber ich hatte das Gefühl, als spreche er zu mir, als wisse er, daß ich da war, und würde deshalb auf meine Frage antworten, ich weiß, daß du mich für einen armseligen Mann hältst, sagte er, daß du glaubst, ich hätte mein Leben vergeudet, aber merke dir, ich selbst betrachte mich als glücklichen Menschen. Ja, ja, fügte er hinzu, vermutlich sah Tami nicht überzeugt aus, ich bin vollkommen im reinen mit mir, und als ich das hörte, freute ich mich im ersten Moment über die gute Nachricht, die durch die Hintertür zu mir gelangte, aber dann fing ich vor Wut auf ihn an zu kochen, ich fühlte mich betrogen, als hätte ich mein ganzes Leben darauf vergeudet, mit jemandem Mitleid zu haben, der sich nur verstellt hatte und gar nicht so bedauernswert war, oder noch schlimmer, vielleicht hatte er sich gar nicht verstellt, sondern ich in meiner Dummheit hatte ihn nicht richtig erkannt, und dann hörte ich Tami mit weicher Stimme antworten, so wie man mit einem Zurückgebliebenen spricht, ja, Korman, wir wissen es, wir wissen alle, wie glücklich du bist, immer wenn ich an Glück denke, sehe ich dein Bild vor mir.
    Ich wußte, daß sie sich über ihn lustig machte, aber ich wußte nicht, was das bedeuten sollte, war seine alberne Verkündigung wirklich so lächerlich, war er wirklich das Sinnbild der Armseligkeit, noch deutlicher, als ich es befürchtet hatte? Eine bedrückende Stille war eingetreten, bis zu mir drang die quälende Last aus dem Wohnzimmer, bis plötzlich ein füchsisches Lachen zu hören war und Arie etwas über Istanbul sagte, über den Friedhof, und Tami fragte, ein Café neben dem Friedhof? Und Arie sagte, ja, auf dem Hügel über dem Goldenen Horn, da haben sie sich immer getroffen, am schönsten Platz von ganz Istanbul. Ich erinnere mich an diese Geschichte, sagte mein Vater begeistert, der französische Schriftsteller mit der Türkin, sie war eine verheiratete Frau, und als man sie erwischte, wurde er nach Frankreich ausgewiesen und sie zum Tode verurteilt, und Tami fragte ängstlich, wie hat man sie getötet? Und mein Vater sagte, einfach gesteinigt, wie man es früher bei uns mit Ehebrecherinnen auch gemacht hat, und Tami schrie auf, davor schütze uns Gott, ich glaube es nicht, und Arie sagte, es gibt dort Bilder von ihnen, in diesem Café, sie war eine schöne Frau.
    Ich habe zu Joni gesagt, sie müßten unbedingt dort hingehen, erzählte mein Vater, es ist der schönste Platz von Istanbul, und Arie fragte, wer ist Joni, und ich quetschte die Türklinke, Papa, Papa, du kennst doch die Geschichte von dem Mann, der einen einzigen Sohn hatte und ihm eine Hochzeit ausrichtete, und wie dann der Sohn unter dem Baldachin starb? Hast du von dieser Geschichte schon mal gehört? So hat sich Gott nach der Zerstörung des Tempels gefühlt, und das ist nicht die einzige Geschichte, die ich dir erzählen möchte, als Last, oder besser gesagt, als Gegenwert für die Geschichte, die du mir gerade erzählt hast. Und dann erschienen offenbar Familienmitglieder von seiten Joséphines, denn die Wohnung füllte sich mit französischem Gemurmel, und ich ging zurück in mein dunkles Bett und murmelte die ganze Zeit, Papa, geh nicht weg, bleib bei mir, paß auf mich auf, aber schon bald hörte ich, wie er sich verabschiedete, und Tami rief ihm mit ihrer scharfen Stimme nach, sag Rachel gute Besserung von mir, und ich wunderte mich, gestern war sie doch noch so gesund wie ein Ochse, was hatte sie, und ich

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