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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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fühlte mich verlassen wie ein Kind, das man mit einer neuen Kindergärtnerin allein gelassen hat, die das Kind noch nicht kennt, und wieder dachte ich, wieso hat sie auf den vorschriftsmäßigen Kondolenzbesuch verzichtet, vielleicht ist sie wirklich krank, oder sie hat einen anderen Grund, einen wirklich guten, denn solche Ereignisse ließ sie sich sonst nie entgehen.
    Ich beschloß, sie anzurufen und gleich aufzulegen, nur um ihre Stimme zu hören und mich zu versichern, daß sie noch sprechen konnte, ich hob den Hörer, und zu meiner Überraschung drangen daraus Geräusche, warme, weiche Geräusche wie aus einer alten Muschel, die den Klang der Wellen aufgesogen hat. Ich drückte den Hörer ans Ohr, bis ich plötzlich merkte, daß ich einem Gespräch lauschte, es war eine weiche weibliche Stimme, bezaubernd und tief, singend vor Lust, ohne daß ich ein Wort von dem verstand, was vielleicht Sprechen, vielleicht auch Singen war, ich versuchte gar nicht, etwas zu verstehen, so sehr genoß ich das Zuhören, es war wie Musik, und erst als ich seine Stimme aus dem Hörer kommen hörte, warm und weich und süß und trotzdem seine Stimme, erst da versuchte ich, das schnelle Französisch zu verstehen, vor allem herauszufinden, ob zwischen ihnen die einzigen Worte fielen, die ich kannte, je t’aime, voulez-vous coucher avec moi, aber es gelang mir nicht, sie sprachen zu schnell, und alle Worte schienen gleich. Wütend hörte ich zu und verfluchte den Moment, als ich mich im Gymnasium dafür entschieden hatte, Arabisch zu lernen statt Französisch, was hatte ich mir damals gedacht, etwa daß er eine arabische Geliebte haben würde, eine Geliebte mußte Französin sein, das war doch klar, und ich merkte, daß sich ein kleiner Streit unter Liebenden entwickelte, nichts Ernstes, eine jener Streitereien, nach denen man sich mit Vergnügen versöhnt. Sie sprach mit erstickter Stimme, atmete schnell und hastig, die Worte rollten ihr aus dem Mund, und er redete langsamer, gelassener, versuchte sie zu besänftigen, was versprach er ihr bloß, und am Schluß beruhigte sie sich tatsächlich, wie ein verwöhntes Kind, das die Nase hochzieht und seine Puppe umarmt, und mit einer verführerischen Häschenstimme sagte sie, alors, aber nicht mon amour, nur alors. Auch er sagte alors, und fast hätte auch ich alors gesagt, um mich zu beteiligen, und sie sagte, je t’embrasse, was meiner Meinung nach etwas mit Küssen zu tun hatte, und legte auf, und ich blieb mit dem Hörer in der Hand sitzen, überrascht von der Eile, diese Frau machte alles so schnell, und auch er war offenbar überrascht, denn ich hörte seine schweren Atemzüge, und so waren wir miteinander verbunden, jeder mit seiner Verblüffung, als führten wir ein Gespräch, und ich empfand eine plötzliche Gemeinsamkeit des Schicksals zwischen uns, ihr Verschwinden aus unserem Leben war so übereilt, man konnte noch ihr kurzes schnelles Atmen hören, anziehend und kindlich, und dann seufzte und hustete er, und plötzlich packte mich Angst, vielleicht behielt er den Hörer meinetwegen in der Hand, um zu hören, ob ich am anderen Ende war, wie er vielleicht vermutete, ich wollte den Hörer auflegen, aber ich konnte nicht, ich mußte ihn täuschen, und erst nach einer Welle von Husten hörte ich das Knacken, und dann legte ich ebenfalls auf.
    Ich zog mir die Decke über den Kopf und lag bewegungslos da, fast ohne zu atmen, für den Fall, daß er hereinkommen und nachschauen würde, und ich fing an, mir Zeichen auszudenken, wenn er sofort kam, würde das bedeuten, daß er ein sehr schlechtes Gewissen hatte, wenn er etwas später kam, dann war sein Gewissen mittelmäßig schlecht und so weiter, aber er kam überhaupt nicht, und das war vermutlich ein Zeichen dafür, daß ich ihm egal war, und ich hatte schon vergessen, warum ich den Telefonhörer abgenommen hatte, ich dachte nur, daß sich seit dem Tag, als ich ihn im Laden mit der Zigarettenspitze getroffen hatte, nichts geändert hatte, gar nichts, ich war nur der dummen Illusion aufgesessen, daß er mich wirklich wollte, während ich doch bloß eine Stellvertreterin war, eine Ersatzgeliebte, die wie ihre Schwester, die Ersatzlehrerin, immer nur zweitrangig ist.
    Aber statt Bedauern empfand ich Erleichterung, weil ich nicht mehr das Feuer seiner Liebe bewachen mußte, ich brauchte überhaupt nichts mehr zu bewachen, weil ich nichts hatte, ich brauchte in den Nächten kein Spagat mehr zu machen, nur um ihn nicht zu enttäuschen,

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