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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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angenehm, das zuzugeben, aber ich war ein bißchen sauer, ich dachte, warum konnte sie nicht noch eine Woche damit warten, und sie sagte immer wieder, wenn ich gesund bin, fliegen wir nach Istanbul, und gegen Ende sagte sie, wenn ich tot bin, fliegst du nach Istanbul, und ich umarmte ihn und sagte, komm, fliegen wir zusammen, nimm mich mit, dort werden wir uns trösten, und er lachte und sagte, vielleicht, vielleicht, und ich wußte, daß ich mich mit ihm nicht fürchten würde, sogar mitten auf dem Markt würde ich mich nicht fürchten, denn meine Angst vor ihm verdrängte meine Angst vor der Welt, und ich drückte mich fest an ihn, und er umarmte mich geistesabwesend, er war mit den Gedanken woanders, und dann sagte er, ich bin müde, so viele Gesichter. Dann bleib doch hier bei mir, sagte ich, geh nicht mehr hinaus, und er sagte, ich kann sie nicht allein lassen, und schaute auf seine Uhr, schon fast neun, ich glaube, wir machen den Laden bald dicht, und seine Augen fielen zu, seine Lippen öffneten sich leicht, seine Hand lag auf meinem Bauch, über der Stelle, wo Kinder wachsen.
    Ich hielt seine Hand und dachte an die Schwangerschaft meiner Mutter, die mir damals so lang vorgekommen war, wirklich unendlich lang, und tatsächlich war sie dreimal so lang gewesen wie das Leben des Babys, das man aus ihr herauszog, doch das wußte ich damals natürlich nicht, als ich ihren riesigen harten Bauch anschaute und mir vorstellte, ich wäre da drin, es war verwirrend, mich in ihr zu sehen, und ich dachte, bald werde ich geboren werden, in einer guten vielversprechenden Stunde, und mein Leben wird zu Ende gehen, mein erstes Leben, und etwas anderes wird beginnen, und immer wieder sagte ich zu meiner Mutter, wenn es ein Mädchen wird, müßt ihr sie Ja’ara nennen. Ich war so daran gewöhnt, das einzige Kind zu sein, daß ich mir gar nicht vorstellen konnte, daß noch Kinder dazukommen könnten, ich glaubte, sie würden ausgetauscht, wie bei Königen, denn man sagte schließlich nie, hier kommt noch ein König, jetzt haben wir zwei, sondern man sagte, der König ist tot, es lebe der König, und tatsächlich war ich ziemlich überrascht, als ich nach der Geburt meines kleinen Bruders weiterlebte, er bekam einen eigenen Namen und ein eigenes Bett, und er war nicht ich, weil er ein Junge war, und der Bauch meiner Mutter verschwand immer mehr, und der Kleine wurde dicker und dicker, und es sah aus, als wäre auf der Welt Platz für uns beide, bis sich herausstellte, daß es nicht so war. Ich wußte, wenn sie sich zwischen uns beiden hätten entscheiden müssen, hätten sie ihn gewählt, das wunderte mich noch nicht einmal, ich gab ihnen recht, ich war keine Rettung mehr, ich war eine Option, die zu nichts geführt hatte, aber das Baby war ganz neu, ein Spalt, um die Tore weit aufzumachen, auf seine kleinen, runden, wohlriechenden Schultern konnte man all seine Hoffnungen laden, und ich glaube, ich nahm Anteil an ihrem Schmerz über diese Gleichgültigkeit des Schicksals, auch an der geheimen Wut gegen mich, die langsam in ihnen wuchs und ihre Liebe zum Erlöschen brachte.
    Seine Hand ruhte auf meinem Bauch, schön und dunkel, und wenn dort ein Baby gewesen wäre, hätte ich zu ihm gesagt, fühle, wie es sich bewegt, und ich hätte seine Hand festgehalten, aber so, was hatte ich ihm da schon zu sagen, er schlief einfach neben mir ein, als wäre ich schon seit ewigen Zeiten seine Frau, eine angetraute Frau, neben der man sich nach einem stürmischen Telefongespräch mit der Geliebten beruhigt, und ich dachte, wie wenig Rollen es doch auf dieser Bühne gibt, wie wenig Möglichkeiten. Früher hat Joséphine hier gelegen, heute bin ich es, morgen wird es das Häschen sein, gestern hat Joni neben mir geschlafen, heute ist es Arie, morgen wird es ein anderer sein, so viele Anstrengungen, um mehr oder weniger das gleiche zu bekommen, und ein Staunen erfüllte mich, das die Trauer überstieg, ein gleichgültiges, bitteres Staunen über all die Metamorphosen, die mich noch erwarteten, ich fühlte sie im Bauch wie das Strampeln eines Kindes, so viele Metamorphosen, um am Schluß doch nur mehr oder weniger ich selbst zu sein.

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    10
    Und dann hörte ich ein Klopfen, so zart, als käme es aus mir selbst, und eine leise Stimme flüsterte, Ja’ari, und fast hätte ich geantwortet, fast hätte ich gesagt, ich bin hier, und dann kam die Stimme wieder und sagte, Ari, und wieder war sie kaum zu hören, und er sprang mit einem Satz aus dem Bett,

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