Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
und nicht im Handstand zu ficken und ähnliches, und mir wurde klar, wie mich die Möglichkeit bedrückt hatte, daß er mich doch endlich wollte, wie groß meine Freude und meine Angst gewesen waren, eine Angst, die sich über die Freude gelegt hatte, die mich erstickt hatte, als wäre ich verpflichtet, einen Sack Gold zu bewachen, und wäre von Räubern umgeben und wüßte nicht, wie ich es schaffen könnte, denn es stimmte zwar, der Schatz würde, wenn ich Erfolg hatte, mir gehören, aber die Aufgabe war so schwer, daß ich es vorzog, von vornherein zu verzichten, ihn einfach stehenzulassen und wegzulaufen, vielleicht nur zu versuchen, eine oder zwei Münzen in die Tasche zu stecken, als Erinnerung, und genau das war es, was ich jetzt hier tat, ich stahl eine kleine Münze, um sie zur Erinnerung in der Tasche zu haben, wenn ich nach Hause zurückkehrte, falls es überhaupt einen Ort gab, an den ich zurückkehren konnte.
Wieder packte mich die Angst, und ich stellte mir die dämmrigen Räume vor, vielleicht waren sie ebenfalls in die Türkei gefahren, und von dort werden sie auf dem Euphrat und dem Tigris bis Babylon schwimmen, mit allen den abgenutzten Möbeln und dem Geschirr, das wir zur Hochzeit bekommen haben, und mit dem weißen Mülleimer, und die Könige von Babylon werden sie rauben und bei ihren Gastmählern verwenden, vor unseren Augen, so wie der Hohepriester vor den Augen seiner Tochter getötet wurde, und mir war klar, daß die Wohnung nicht mehr an ihrem Platz war, wie sollte sie, nachdem wir uns in verschiedene Richtungen zerstreut hatten, und wieder wollte ich dort anrufen, aber ich hatte die Nummer vergessen, sie fiel mir ums Verrecken nicht ein, als hätte ich sie nie gewußt, und so erwischte er mich, als er eintrat, im Bett liegend und mit dem Telefonhörer in der Hand, als hätte ich gerade erst aufgehört, seine Liebesgespräche zu belauschen.
Mit einem Mal, ohne mich vorher zu warnen, machte er das große Licht an, und ich blinzelte dumm wie ein Maulwurf und sagte, mach aus, sonst merken sie, daß hier jemand ist, aber er kicherte, ich bin doch hier, oder? Von mir erwartet keiner, daß ich im Dunkeln sitze, auch nicht, wenn ich Schiwa sitze, und dann blickte er das Telefon an und fragte übertrieben höflich, störe ich dich mitten in einem Gespräch? Und ich sagte, nein, das Gespräch hat noch nicht angefangen, und er fragte, ist es etwas, das einen Aufschub verträgt? Und ich sagte, ja, ja, und er nahm mir mit einer herrischen Bewegung den Hörer aus der Hand und legte ihn auf den Apparat, und er streckte sich neben mir aus, spannte seinen ganzen Körper, der mir nicht gehören würde, diesen glatten, dunklen Körper mit dem erregenden Reiz des Alters, mit der kräftigen Essenz der Reife, die ich, sosehr ich mich auch bemühte, nie verstehen würde, in ihrer so exakten und schmerzlichen Mischung aus Zartheit und herrischem Verhalten, Verschlossenheit und Tiefe, Grobheit und Sensibilität, als habe ein großer Koch alles nach einem unwiederholbaren Rezept zusammengerührt, einzigartige Zutaten, die sich nicht rekonstruieren ließen, vor allem weil sie längst vernichtet waren, der Koch genau wie das Rezept, und er drehte mir sein Gesicht zu, betrachtete mich mit einer fast liebevollen Trauer und sagte, Istanbul, was?
Ich zuckte mit den Schultern, verwirrt und stolz, als hätte ich gerade die Tapferkeitsmedaille erhalten und wüßte, daß sie mir zustand, aber nicht, ob es sich für mich lohnte, und ich schämte mich auch ein bißchen, weil er nun wußte, was ich geopfert hatte, um hier neben seinem prachtvollen Körper zu liegen, ich wußte noch nicht einmal, ob er mich verspottete oder tatsächlich Mitleid empfand, und er sagte, eine große Stadt, Istanbul, eine wundervolle Stadt, sie wirbelt alle Gefühle durcheinander, und er zündete sich seufzend eine Zigarette an, ich habe in der letzten Zeit viel an Istanbul gedacht, denn dort ist Joséphine krank geworden, jahrelang wollten wir zusammen hinfahren, und nie hat es geklappt, und dann war es endlich soweit, und wir mußten mittendrin nach Hause zurückfliegen, sie war ohnmächtig geworden, und mit einem Schlag hatte sich die Situation verändert, du weißt, wie dort die medizinischen Verhältnisse sind, es lohnte sich nicht, ein Risiko einzugehen, also flogen wir sofort nach Hause, und sie hatte solche Schuldgefühle, weil sie mir die Reise verdorben hatte.
Und warst du wütend auf sie, fragte ich, und er sagte, es ist nicht
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