Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
Leben zerstörten, und ich sagte mir, dein Problem ist, daß du nicht zwischen deinem Leben und deinem Liebesleben trennen kannst, dabei teilt sie doch eine Mauer. Du glaubst, es ist egal, aber das Liebesleben ist nur ein Teil des Lebens, und nicht der wichtigste, es ist nur eine kleine Tasche im Anzug des Lebens, und alle da draußen wissen das. Deshalb sitzen sie dort und trinken Kaffee und essen Kuchen, und du liegst hier in der Dunkelheit, eingeschlossen wie eine Gefangene im Kittchen, wie eine Kranke in der Irrenanstalt, und man hat dich auch noch isoliert, als wäre deine Krankheit gefährlich, und nur einer darf dich versorgen, denn er ist vermutlich selbst krank genug, daß du ihm nicht mehr schaden kannst, aber sei dir nicht so sicher, daß er dir nicht schaden kann, Süße.
    Und aus dem freundschaftlichen Lärm erhob sich plötzlich die Stimme meines Vaters, und um jeden Zweifel auszuschließen, hörte ich jemanden sagen, schon wieder Korman mit seinen Träumen, freundlich und nicht spöttisch, wie meine Mutter es gesagt hätte, deren Stimme hörte ich überhaupt nicht, und sofort spitzte ich die Ohren und stand auf und setzte mich neben die Tür, trank durstig seine angenehme, jugendliche, reine Stimme, er hatte eine reine Stimme, jahrelang hatte ich nach dem richtigen Wort gesucht, und erst jetzt hatte ich es gefunden. Wie ein Bach floß seine Stimme, ein Bach mit kleinen Holzschiffchen, ein Spielbach, wenn es so etwas überhaupt gab. Jahrelang hatte ich innerlich mit mir gekämpft, ob ich mich auf diese Stimme verlassen könnte, denn wie war das möglich, daß jemand alt war und sich jung anhörte, wem sollte man glauben, dem Aussehen oder der Stimme, oder wenn jemand krank war, sich aber gesund anhörte, oder wenn er traurig aussah, seine Stimme aber fröhlich klang, oder wenn er haßerfüllt aussah und sich liebevoll anhörte, wie sollte man da entscheiden. Jahrelang hatte ich mich gefragt, ob dieser alte, traurige Mann mit dieser jungen, fröhlichen Stimme nun fröhlich war oder traurig, alt oder jung, und ob ich Mitleid mit ihm haben oder ihn beneiden sollte, aber jetzt, hier in der Dunkelheit, empfand ich eine große Liebe zu ihm, wollte, daß er kam und sich neben mich aufs Bett setzte, wie er es früher getan hatte, wenn ich krank war, ich wollte, daß er mir eine Geschichte erzählte oder vorlas, sogar wenn ich sie schon auswendig kannte, die Geschichte eines Mannes, der sein Auge auf die Frau seines Herrn gerichtet hatte und welcher der Gehilfe eines Zimmermanns war:
    Einmal benötigte sein Herr ein Darlehen. Der Gehilfe sagte zu ihm: Schicke deine Frau zu mir, ich werde ihr das Geld geben. Der Zimmermann schickte seine Frau zu ihm, sie blieb drei Tage bei ihm. Dann ging er zu dem Gehilfen. Er sagte: Meine Frau, die ich zu dir geschickt habe, wo ist sie? Da sagte der Gehilfe: Ich habe sie sofort entlassen, aber ich habe gehört, daß die Knaben unterwegs ihren Mutwillen mit ihr getrieben haben. Und der Zimmermann sagte: Was soll ich tun? Der Gehilfe sagte: Wenn du auf meinen Rat hören willst, schicke sie weg. Der Zimmermann sagte: Der Ehevertrag verlangt viel. Der Gehilfe sagte: Ich werde dir das Geld leihen, und er gab ihm den Preis für den Ehevertrag. Der Zimmermann verstieß seine Frau auf der Stelle. Der Gehilfe ging hin und heiratete sie. Als die Zeit kam und der Zimmermann seine Schuld nicht bezahlen konnte, sagte der Gehilfe zu ihm: Komm und arbeite für deine Schuld. Und der Gehilfe und die Frau saßen beim Mahl und aßen und tranken – und der Zimmermann stand und goß ihnen ein. Und die Tränen flossen aus seinen Augen in ihre Gläser – und in dieser Stunde wurde das Urteil unterschrieben.
    Vielleicht würde sich durch die Kraft seiner Stimme die Geschichte ändern, und wenn er zu den Worten kam, das Urteil wurde unterschrieben, würden daraus Worte des Trostes und der Besänftigung.
    Neben seiner Stimme hörte ich die laute Stimme der Frau vom Vormittag, der Besitzerin des Hundes, oder besser gesagt, der Hündin, vermutlich eine nahe Freundin der Familie, wenn sie sich die Mühe machte, zweimal am Tag zu kommen, oder vielleicht war es ihr jetzt, da sich die Hündin von der Operation erholte, einfach langweilig, ich hörte sie begeistert sagen, Istanbul! Toll! Und ich dachte, vielleicht will sie mit ihrer Hündin, um sie zu trösten, nach Istanbul fahren, bis ich plötzlich kapierte, daß mein Vater da draußen stolz von seiner Tochter erzählte, seiner einzigen, wohlgelungenen

Weitere Kostenlose Bücher