Liebeslist und Leidenschaft
gehofft, seine Zuneigung zu gewinnen, aber mit Lob hielt er sich zurück. Wehe aber, wenn sie seine Erwartungen enttäuschte!
Kein Wunder, dass Nicole jetzt das Gefühl hatte, beide Elternteile hätten sie verstoßen. Nate spürte ihren Schmerz, aber er wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Und er selber hatte ihr auch nicht nur gutgetan, das wusste er sehr genau, und das beschämte ihn.
Dagegen immerhin konnte er rein theoretisch etwas tun. Er konnte die DVD vernichten und Nicole freigeben. Aber dazu konnte er sich nicht durchringen. Nein, eins war ihm in den vergangenen Tagen klar geworden: Er wollte sie nicht hergeben, nicht loslassen. Niemals!
Charles Wilson hatte sie nicht verdient, ihre Liebe nicht, ihre Zuneigung nicht. Nate hingegen wollte alles in seiner Macht Stehende tun, dass es ihr an nichts fehlte, solange sie bei ihm war. Irgendwann würde sie das zu schätzen wissen und aus freien Stücken bei ihm bleiben.
In den folgenden Tagen gab es für Nicole nur zwei Dinge: die Arbeit und Nate. Am Freitagabend war sie völlig erschöpft. Es hatte sie ihre letzten Kräfte gekostet, die komplizierten Verträge für die neu angeworbenen Winzereien zu erstellen, und der Schlafmangel tat ein Übriges. Kopfschmerzen plagten sie, als sie mit Nate zurück zum Apartment fuhr. Am liebsten wäre sie sofort mit ihm nach Karekare aufgebrochen. Das Meeresrauschen, das Zwitschern der Vögel – diese Ruhe würde ihr jetzt guttun. Sie würden allerdings erst am späten Samstagabend dorthin aufbrechen, aber sie freute sich schon jetzt darauf. Vielleicht gehe ich sogar auf Nates Angebot ein und lasse mir von ihm das Surfen beibringen, überlegte sie.
Das Handy in ihrer Handtasche klingelte, aber sie ignorierte es. Hätte ich das Ding nur ausgestellt, als ich Feierabend gemacht habe, ging es ihr durch den Kopf. Denn alle Anrufe bezogen sich nur auf die Arbeit – oder sie kamen von Anna, die sie ungefragt über den Gesundheitszustand ihres Vaters auf dem Laufenden hielt.
Es stand nicht gut um Charles Wilson, aber Nicole wischte alle Gedanken daran beiseite. Sie wollte einfach nicht daran denken, dass der Mann, der in ihrem Leben den größten Einfluss auf sie gehabt hatte, vielleicht bald nicht mehr da sein würde. Er hatte sie im Krankenhaus nicht sehen wollen. Das hatte er ihr am Montagmorgen unmissverständlich klargemacht.
War sie denn so wenig liebenswert? Bei diesem Gedanken krampfte sich ihr Herz zusammen. Ihre Mutter hatte sie verlassen, ihr Vater hasste sie jetzt. Und auch Nate wollte sie ja nur, um ihrem Vater und ihrem Bruder zu schaden. So verlassen hatte sie sich in ihrem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Als sie tief aufseufzte, ergriff Nate tröstend ihre Hand.
„Alles in Ordnung? Du bist richtig blass.“
„Nur diese blöden Kopfschmerzen. Ich werde sie einfach nicht los.“
Während er mit der einen Hand den Wagen steuerte, legte er ihr die andere kurz auf die Stirn. „Nein, Fieber scheinst du nicht zu haben. Aber vielleicht solltest du doch zum Arzt gehen. Du hast schon die ganze Woche nicht besonders gesund ausgesehen.“
„Das ist nur, weil die Tage so stressig waren. Ich brauche nur ein paar Kopfschmerztabletten und viel Schlaf. Am besten einen ganzen Monat.“
„Einen Monat? Das kann ich dir nicht versprechen. Aber wenn du das ganze Wochenende über im Bett bleiben willst, habe ich nichts dagegen.“
Sie lächelte dünn. Seine Hintergedanken waren nicht schwer zu erraten. Sie im Bett – mit ihm. Seine Zärtlichkeiten waren im Moment das Einzige, was sie ablenkte und ihren Kummer vergessen ließ. Aber im Moment plagten sie Kopfschmerzen, und ihr war nicht danach.
„Du weißt ja, eigentlich muss ich heute Abend noch weg. Aber das kann ich absagen. Ich möchte dich nur ungern allein lassen, wenn du dich nicht gut fühlst.“
„Nein, das geht schon in Ordnung“, widersprach sie. „Der Probedurchlauf für Raouls Hochzeit ist wichtig. Da musst du hin.“
„Wenn du meinst, dass es geht …?“
„Gar kein Problem“, versicherte sie ihm. Es war ihr sogar ganz recht, eine Zeit lang allein zu sein. Die Schmerztabletten, ein warmes Bad – und dann schlafen.
Als sie im Apartment angekommen waren, zog Nate sich für die Hochzeitsprobe samt anschließendem Essen um, die in einem der besten Hotels von Auckland stattfand. Zur eigentlichen Hochzeit am folgenden Tag hatte Raoul auch Nicole eingeladen, aber sie hatte freundlich abgesagt, weil sie sich unter den vielen fremden Menschen nicht
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