Liebeslist und Leidenschaft
jeden Fall unkomplizierter.
„Er ist beim Frühstück plötzlich zusammengebrochen“, antwortete Judd.
„Deine Anwesenheit scheint ihm ja richtig gutzutun“, schrie Nicole wütend. Dann brach sie in Tränen aus.
Verdammt, was war nur mit ihr los? Ihre Nerven spielten verrückt. Aber sie musste sich zusammenreißen, damit man sie zu ihrem Vater ließ.
Eine Krankenschwester kam. „Mr Wilson, Sie können Ihren Vater jetzt besuchen.“
Judd nahm Anna beim Arm, aber sie sagte: „Nein, nimm Nicole mit rein. Für sie ist es noch wichtiger als für mich.“
Was war nur zwischen den beiden? Waren sie wirklich ein Paar …?
„Kommst du?“, fragte Judd ungeduldig.
Nicole wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er behandelte sie, als ob sie nicht dazugehörte! Was fiel ihm nur ein? Es war doch nicht ihre Schuld, dass ihr Vater in der Notaufnahme lag und vielleicht sogar mit dem Tode rang. „Natürlich komme ich. Er ist mein Dad.“
Als sie ihren Vater sah, war sie entsetzt. Er war an Schläuche angeschlossen, Monitore piepten. Wie krank er aussah, wie zerbrechlich, wie alt! Wieder stiegen Schuldgefühle in ihr auf.
Als ihr Vater sie bemerkte, sah er sie böse an. „Was will die denn hier?“, sagte er und wandte den Kopf ab.
Alles Tröstende, alles Aufbauende, das Nicole ihm hatte sagen wollen, blieb ihr im Hals stecken. Sie nahm ihren letzten Rest an Selbstachtung zusammen. „Eigentlich wollte ich sehen, wie es dir geht, aber ganz offensichtlich bist du schon wieder ganz der Alte. Also bin ich hier überflüssig.“
Sie wandte sich um und drängte sich an Judd vorbei. Nur raus hier. Irgendwohin, wo ihr Vater nicht war. Er hasste sie, verachtete sie, das war jetzt sonnenklar. Offenbar war sie für ihn gestorben, als sie zur Konkurrenz übergelaufen war. An Erklärungen würde er nicht interessiert sein, das war er noch nie gewesen. Gut, du willst es nicht anders, dachte sie, während sie wortlos an Anna vorbeiging.
Nate wartete draußen in der kühlen Morgenluft.
„Wie geht es ihm?“, fragte er, als Nicole ins Freie trat.
„Er ist immer noch der gleiche harte Hund wie immer. Der gleiche Mistkerl. Bitte fahr mich nach Hause. Ich kann heute nicht mehr ins Büro, ich bringe es einfach nicht.“
Nate sah sie prüfend an, dann nickte er und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Natürlich. Ganz wie du willst.“
Er raste zum Strandhaus in Karekare. Kaum hatten sie es betreten, begann Nicole sich auszuziehen und dann an seinen Kleidern zu zerren. Sie brauchte Trost, sie brauchte ihn.
Energisch fasste sie Nate bei der Hand, zog ihn ins Schlafzimmer und drängte ihn aufs Bett. Sie streifte ihm ein Kondom über und setzte sich auf ihn. Keine raffinierten Zärtlichkeiten, keine geflüsterten Worte der Leidenschaft. Sie bewegte sich wild und stürmisch, und bevor Nate sich ihrem Temperament hingab, schwor er sich etwas. Charles Wilson würde Nicole nie mehr verletzen.
9. KAPITEL
Nachdenklich betrachtete Nate die schlafende Nicole. Sie hatte sich wie eine Verrückte aufgeführt, die einen inneren Dämon austreiben wollte. Als ob sie die Enttäuschung und den Schmerz, die sie in sich trug, betäuben musste. Einerseits war er froh darüber, dass die Vorkommnisse im Krankenhaus sie wieder in sein Bett getrieben hatten, andererseits empfand er tiefes Mitgefühl. Den ganzen Tag über hatte sie beharrlich geschwiegen, was ihren Vater anging. Weder hatte sie gesagt, wie es ihm ging, noch hatte sie erzählt, was er gesagt oder getan hatte, um sie so zu verletzen. Auch als sie einen Spaziergang am Strand gemacht hatten, hatte sie weder über die Arbeit noch über ihre Familie sprechen wollen und nur unverfängliche Themen angeschnitten.
Immerhin konnte er sich aus ihren früheren Erzählungen allmählich ein Bild davon machen, wie sie aufgewachsen war. Nicht unbedingt eine ideale Kindheit. Es fing schon damit an, dass sie ohne Mutter aufwachsen musste. Ihr Vater hatte sie zwar mit materiellen Gütern überschüttet und ihr eine beste Freundin „gekauft“, indem er Anna Garrick dieselbe Schule besuchen und im Hause wohnen ließ. Doch all das war nur ein schwacher Ersatz dafür, dass ihre Mutter sie verlassen hatte.
Nach dem Scheitern seiner Ehe hatte Charles sich förmlich in Arbeit vergraben. Wenn er Zeit mit Nicole verbrachte, war er streng zu ihr gewesen. Er achtete darauf, dass sie ihre Hausaufgaben erledigte, gute Noten bekam und sich in der Schule gut benahm. Mit Fleiß und harter Arbeit hatte sie
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