Liebeslist und Leidenschaft
wohlgefühlt hätte. Stattdessen wollte sie Samstag noch einmal ins Büro gehen und für die kommende Woche vorarbeiten.
Eine halbe Stunde später war sie allein. Sie ließ sich ein Bad einlaufen und gab Badesalz mit Lavendel- und Rosenduft dazu. Allmählich ließ ihre Anspannung nach. Sie nahm zwei Kopfschmerztabletten, zog sich aus und legte sich in die Wanne.
Plötzlich hörte sie, wie im Wohnzimmer ihr Handy klingelte. Lass es klingeln, dachte sie. Nachher kann ich immer noch nachsehen, wer angerufen hat. Wird schon nichts Wichtiges sein. Entspannt schloss sie die Augen und genoss das warme Bad.
Als das Wasser allmählich zu kühl wurde, stieg sie aus der Wanne, trocknete sich ab und schlüpfte in einen Morgenmantel. Ein Nachthemd zog sie gar nicht erst an. Das würde Nate mir sowieso gleich ausziehen, wenn er nach Hause kommt, dachte sie und lächelte voller Vorfreude. Ihre Kopfschmerzen waren verschwunden, sie fühlte sich erfrischt und hatte Lust auf Zärtlichkeiten. Ihren ursprünglichen Plan, früh ins Bett zu gehen, verwarf sie. Vielleicht würde sie noch ein bisschen fernsehen und dann Nate an der Tür begrüßen, wenn er nach Hause kam. Eine verlockende Idee …
Aber zunächst einmal checkte sie ihr Handy. Zwei nicht angenommene Anrufe – beide von derselben Person – und eine Nachricht auf ihrer Mailbox. Die Nummer kam Nicole verdächtig bekannt vor – es war der Anschluss von zu Hause. Allmählich begann sie sich Sorgen zu machen. Hoffentlich ging es ihrem Vater nicht schlechter …
Sie rief die Nachricht von der Mailbox ab. Eine ihr unbekannte Frauenstimme ertönte.
„Hallo, hier spricht Cynthia Masters-Wilson. Nicole? Ich würde mich morgen gerne mit dir zum Essen treffen. Wäre dir dreizehn Uhr recht?“ Sie nannte den Namen eines Restaurants in der Innenstadt. „Ich glaube, es ist höchste Zeit, dass wir uns kennenlernen, findest du nicht auch?“
Nicole stand fassungslos da. Ihre Mutter? Nach all den Jahren? Ihre Beine begannen zu zittern, und sie setzte sich lieber. Warum jetzt?
Ihr Leben lang hatte sie sich gesagt, dass sie mit dieser Frau nichts zu tun haben wollte, die sie im Alter von einem Jahr so herzlos verlassen hatte. Die nie versucht hatte, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Sie hatte sich immer eingeredet, es würde keine Rolle spielen. Schließlich hatte sie ja noch ihren Vater, hatte Anna und auch Annas Mutter, die für Charles nicht nur die Haushälterin, sondern auch eine Art Lebensgefährtin gewesen war. Aus diesem Grund war es ihr nicht allzu schwergefallen, Cynthia Masters-Wilson aus ihren Gedanken zu verdrängen.
Aber jetzt – was war ihr jetzt geblieben? Nichts, absolut nichts. Die ganze Woche über hatte sie versucht, ihre innere Leere zu verdrängen, indem sie sich in die Arbeit stürzte. Doch es hatte nicht viel genützt. Die Zurückweisung ihres Vaters hatte sie zu schwer getroffen.
Trotzdem muss ich vorsichtig sein, was meine Mutter angeht, schoss es ihr durch den Kopf. Fünfundzwanzig Jahre hat sie nichts von sich hören lassen, und plötzlich will sie mich treffen. Wer weiß, was dahintersteckt.
Vielleicht wollte ihre Mutter sich wirklich mit ihr aussöhnen. Vielleicht hatte sie damals für ihre Handlungsweise triftige Gründe gehabt, vielleicht wollte sie ihr alles erklären?
Auf jeden Fall würde Nicole sich mit ihr treffen. Mit Cynthia. Die Bezeichnung Mom oder Mutter kam ihr für diese Frau allerdings nicht in den Sinn. Sie würde einiges mit ihr zu bereden haben!
Das Herz schlug Nicole bis zum Hals, als sie sich am folgenden Tag dem Restaurant näherte. Fast tat es ihr schon wieder leid, dass sie die Einladung angenommen hatte. Wenn ihre Mutter ihr wirklich ein Friedensangebot machen, vielleicht sogar eine Mutter-Tochter-Beziehung aufbauen wollte, warum dann so öffentlich in einem Restaurant? Wäre nach einem Vierteljahrhundert des Schweigens nicht ein privates Treffen angemessener gewesen?
„Sie müssen Miss Wilson sein“, begrüßte der Kellner sie, als sie das Restaurant betrat. „Ihre Mutter hat schon Platz genommen. Bitte folgen Sie mir.“
Jetzt gibt es kein Zurück mehr, dachte Nicole.
Als sie den Tisch erreicht hatten, zog der Kellner den Stuhl für sie zurück, und sie setzte sich, ohne die ihr so fremde Frau anzusehen. Mit gesenkten Blick stellte sie ihre Tasche ab. Erst dann schaute sie hoch.
Es war, als ob sie sich selbst sah – nur fünfundzwanzig Jahre in der Zukunft. Dieselben Augen, sogar eine ganz ähnliche Frisur, obwohl
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