Liebeslist und Leidenschaft
er sich auf den Weg zu Nicole machte. Es war schon recht spät, und er konnte nur hoffen, dass sie noch wach war, wenn er ankam. Falls nicht – na ja, dann würde er halt warten, bis sie ausgeschlafen hatte.
Nicole wischte sich mit einem Handtuch den Sand von den Füßen. Jeden Abend machte sie lange Spaziergänge am Strand von Langs Beach. Wanderungen bis zur Erschöpfung, weil sie hoffte, dann besser schlafen zu können.
Das Schlafen fiel ihr schwer, seit sie Nate verlassen hatte – nicht zuletzt aus Angst vor den Konsequenzen. Bisher allerdings hatte er die verräterische DVD noch nicht an ihren Vater geschickt, das wusste sie. Anna hielt sie regelmäßig auf dem Laufenden, und zum Glück ging es ihrem Dad allmählich besser. Obwohl sich das natürlich ganz schnell wieder ändern konnte, wenn er den Film zu Gesicht bekam. Aber das war nicht das Einzige, was sie um den Schlaf brachte, musste sie sich eingestehen. Sie vermisste Nate, seine Nähe, seine Stärke.
Die alte Tür quietschte, als sie ihr heruntergekommenes Ferienhäuschen betrat. Nachdem sie Laptop und Handy, die sie von Nate bekommen hatte, zurück ins Büro gebracht hatte, war sie ziellos losgefahren, einfach immer weiter nach Norden. Zwischendurch hatte sie nur einmal angehalten, um sich ein neues Handy zu kaufen.
Sie wusste selbst nicht genau, was sie in diese Gegend gezogen hatte, abgesehen davon, dass sie am Meer lag und ganz anders war als der Westküstenstrand, an dem sich Nates Haus befand. Falls sie damit gehofft hatte, Nate aus ihren Gedanken zu vertreiben, war sie allerdings kläglich gescheitert. Immer wieder musste sie an ihn denken.
Nicole schloss die Tür und ging in die Küche, um auf dem Herd Wasser heiß zu machen. Vielleicht würde eine Tasse Kamillentee ihr den ersehnten Schlaf bringen.
Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich hörte, wie draußen ein Auto über den Kiesweg zum Haus fuhr und dann anhielt. Außer Anna wusste doch niemand, dass sie hier war. Und die hätte sich garantiert vorher telefonisch angemeldet.
Nun hörte sie Schritte, die sich dem Haus näherten. Und dann ein Klopfen. Einmal, zweimal, dreimal.
Beunruhigt ging sie zur Tür, öffnete aber nicht.
„Nicole, ich bin’s. Nate.“
Wie hatte er sie gefunden? Und was hatte er vor?
„Nicole, mach doch auf. Ich will nicht streiten, ich will dir nicht wehtun. Ich möchte nur mit dir reden.“
Nach einem kurzen Moment des Zögerns öffnete sie. Sie erschrak, als sie ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Er bot einen erbärmlichen Anblick und sah aus, als hätte er seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen oder vernünftig gegessen. Wahrscheinlich sah sie selbst auch nicht viel besser aus, aber in diesem Augenblick tat er ihr unendlich leid.
Am liebsten hätte sie ihn spontan in die Arme geschlossen, um ihn zu trösten. Er schien in den letzten Tagen wirklich gelitten zu haben. Aber sie ja schließlich auch. Sie verkniff sich die Umarmung.
„Ja, dann komm mal rein“, bat sie verlegen und ließ ihn in die Wohnküche eintreten.
Das Ferienhaus war nicht nur heruntergekommen, sondern auch sehr klein. Ein winziges Schlafzimmer, ein Badezimmer und die Wohnküche. Sie hatte sich nur dafür entschieden, weil es so nahe am Strand lag und immerhin eine zusätzliche Garage bot, in der sie ihren Wagen untergestellt hatte.
„Möchtest du was trinken? Einen Tee vielleicht?“
Alkohol wollte sie ihm lieber nicht anbieten. Schließlich würde er heute noch zurückfahren müssen, und sie wollte nicht schuld daran sein, dass er vielleicht noch einen Unfall baute. Besonders fit sah er ohnehin nicht aus.
„Nein, danke, keinen Tee“, antwortete er mit belegter Stimme. „Wie geht es dir?“
Sie goss sich ihren Kamillentee auf und setzte sich dann auf einen Stuhl. Nate nahm auf dem Sofa Platz.
„Mir geht’s ganz gut“, murmelte sie. „Hör mal, ich weiß nicht, warum du gekommen bist, aber eins steht fest: Ich bleibe bei meiner Entscheidung. Was ich dir auf die Mailbox gesprochen habe, habe ich genau so gemeint.“
Nate griff in die Tasche seines Jacketts und zog eine flache Plastikbox hervor. Nicole wusste sofort, was darin war. Er wollte ihr die Box überreichen, aber sie nahm sie nicht an, weil sie nicht Gefahr laufen wollte, ihn zu berühren. Stattdessen legte er sie auf den verkratzten Holztisch. An seinem Gesichtsausdruck erkannte sie, dass er überrascht, vielleicht sogar ein wenig verletzt war, weil sie die Box nicht entgegengenommen
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