Liebesnacht mit einem Mörder
nicht heraus. Sie alle hatten Simon nicht nur als Chef geschätzt, sondern auch als Menschen sehr gemocht. Eve hörte ständig Worte wie mitfühlend, großzügig, sympathisch.
Und dachte an das Grauen und den Schmerz in Marianna Hawleys Augen.
Die Fahrt zum Krankenhaus, um sich nach Piper zu erkundigen, brachten sie schweigend hinter sich. Obgleich die Klimaanlage des Fahrzeugs angenehme Wärme in das Innere des Wagens pumpte, war die Atmosphäre eisig.
Meinetwegen, dachte Eve. Meinetwegen soll sie noch jahrelang beleidigt sein. Wenn Peabody unbedingt die Mimose spielen wollte, war das alleine ihr Problem. Die Arbeit wäre davon nicht betroffen.
»Rufen Sie McNab an«, wies sie ihre Assistentin beim Betreten des Fahrstuhls an. »Fragen Sie ihn, ob er inzwischen rausgefunden hat, wo Simon sich vielleicht versteckt. Und fragen Sie ihn auch, ob er Simons persönliche Daten an Mira übermittelt hat.«
»Zu Befehl, Madam.«
»Wenn Sie noch mal in diesem schnodderigen Ton Madam zu mir sagen, kriegen Sie eine geknallt.« Mit diesen Worten verließ Eve den Lift und ließ eine stirnrunzelnde Peabody hinter sich.
»Ich will wissen, wie es Piper Hoffman geht«, erklärte sie einen Moment später und knallte ihren Dienstausweis auf den Tisch der Dienst habenden Schwester.
»Die Patientin Hoffman ist sediert.«
»Was soll das heißen? Liegt sie immer noch im Koma?«
Die farbenfrohe, mit Frühlingsblumen bedruckte Tunika der Schwester passte so gar nicht zu ihrem gestressten, unfreundlichen Gesicht. »Die Patientin Hoffman ist vor zwanzig Minuten aus dem Koma erwacht.«
»Weshalb hat man mir nicht Bescheid gegeben? Ich hatte Anweisung erteilt, dass man mich umgehend darüber informiert.«
»Wir haben der Polizei Meldung gemacht, Lieutenant, aber Patientin Hoffman war, als sie wieder zu sich kam, orientierungslos, hysterisch und hat derart heftig um sich geschlagen, dass sie auf Empfehlung des behandelnden Arztes und mit Zustimmung des nächsten Verwandten gefesselt und künstlich ruhig gestellt worden ist.«
»Wo ist dieser Verwandte jetzt?«
»Er ist wie schon die ganze Nacht in ihrem Zimmer.«
»Besorgen Sie mir den behandelnden Arzt.« Eve machte kehrt und marschierte den Korridor hinunter in das Zimmer, in dem Piper lag.
Sie sah aus wie eine Elfe. Bleich, blond und wunderschön. Unter ihren Augen lagen leichte Schatten, und aufgrund der Medikamente überzog ein leicht rosiger Hauch ihr zartes, filigranes Gesicht.
Unweit des Bettes summten ein paar Monitore. Der Raum selbst sah aus wie das Wohnzimmer der Suite eines hochherrschaftlichen Hotels. Patienten, die es sich leisten konnten, genasen von ihren Krankheiten mit Stil und mit Komfort.
Eves erste Erinnerung an einen Aufenthalt im Krankenhaus war die an ein fürchterliches, enges Zimmer mit fürchterlichen, schmalen Betten, in denen Frauen und Mädchen vor Schmerz und Elend stöhnten. Die Wände waren grau gewesen, die Fenster schwarz vor Dreck und die Luft erfüllt vom beißenden Gestank von Eiter und Urin.
Sie war acht gewesen, verletzt und mutterseelenallein, ohne den möglicherweise zweifelhaften Trost, sich daran zu erinnern, wie sie hieß.
Piper jedoch würde unter gänzlich anderen Bedingungen aus dem Schlaf erwachen. Ihr Bruder säße neben ihrem Bett und hielte mit einer Vorsicht, als würde sie bei falschem Druck wie dünnes Glas zerspringen, ihre schmale Hand.
Überall im Zimmer standen bereits Körbe, Schalen, Vasen voller Blumen, und im Hintergrund erklang eine sanfte, beruhigende Melodie.
»Als sie wach geworden ist, hat sie wie eine Wahnsinnige geschrien.« Obwohl er mit Eve sprach, starrte Rudy weiter in das Gesicht seiner Schwester. »Sie hat geschrien, dass ich ihr helfen soll. Und die Geräusche, die sie dabei ausgestoßen hat, waren nicht menschlich.«
Er hob ihre lange, schmale Hand an seine Wange. »Aber sie hat mich nicht erkannt. Sie hat nach mir und den Schwestern geschlagen. Sie dachte, sie wäre immer noch… sie dachte, er wäre noch da.«
»Hat sie etwas gesagt? Hat sie seinen Namen gesagt?«
»Sie hat ihn gekreischt.« Endlich hob er den Kopf und wandte sein ausdrucksloses, wächsernes Gesicht Eve zu. »>0 Gott<«, hat sie geschluchzt. »>Simon, nicht. Nicht, nicht, nicht. Immer und immer und immer wieder. <«
Mitleid für die beiden rührte an ihr Herz. »Rudy, ich muss mit ihr reden.«
»Sie muss schlafen. Schlafen und vergessen.« Er strich mit seiner zweiten Hand über Pipers Haar. »Wenn es ihr wieder besser geht,
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