Liebesnacht mit einem Mörder
zu erzählen.
»Es war grausam«, meinte sie am Ende. »Aber das war nicht das Schlimmste. Ich habe schon grausamere Anblicke erlebt. Sie war unschuldig – es war etwas an ihrer Wohnung, an der Art, in der sie ging, in ihrem Gesicht. Ich kann es nicht so richtig erklären, aber sie hat irgendwie völlig unschuldig gewirkt. Ich weiß, dass das nicht der Wirklichkeit entspricht. Unschuld wird des Öfteren zerstört. Ich weiß nicht, wie es ist, unschuldig zu sein. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich selbst je unschuldig gewesen bin. Aber ich weiß, wie es ist, wenn man zerstört wird.«
Leise fluchend stellte sie ihr Weinglas auf die Seite.
»Eve.« Er nahm ihre Hand und wartete, bis sie ihm ins Gesicht sah. »Eventuell ist ein Sexualmord nicht unbedingt die beste Art, wieder mit dem aktiven Dienst zu beginnen.«
»Vielleicht hätte ich die Sache gar nicht übernommen.« Dieses Eingeständnis beschämte sie so sehr, dass sie hastig zu Boden sah. »Wenn ich gewusst hätte, worum es ging, hätte ich womöglich gar nicht erst auf die Meldung reagiert.«
»Du kannst den Fall auch jetzt noch an jemand anderen aus der Abteilung abgeben. Niemand würde dir deshalb nur die geringsten Vorhaltungen machen.«
»Ich selber würde es mir nicht verzeihen. Jetzt habe ich sie gesehen. Jetzt weiß ich, wer sie ist.« Eve schloss kurz die Augen. »Jetzt gehört sie mir, und dem kann ich mich nicht entziehen.«
Sie strich sich die kurzen Haare aus der Stirn und sprach mit ruhiger Stimme weiter. »Sie hat, als sie die Tür geöffnet hat, so überrascht und glücklich ausgesehen. Wie ein kleines Kind. Himmel, ein Geschenk. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja.«
»Und dann hat dieser Bastard, bevor er zu ihr reingegangen ist, noch lächelnd in die Kamera gesehen und gezwinkert. Und als er wieder rauskam, hat er einen regelrechten Freudentanz in Richtung Fahrstuhl aufgeführt.«
Ihre Augen begannen zu blitzen, und sie richtete sich kerzengerade auf. Dies war nicht nur der Blick der engagierten Polizistin, überlegte Roarke. Eher wirkte sie wie ein Racheengel.
»Bei dem Verbrechen ist es nicht um Leidenschaft gegangen, sondern rein ums Vergnügen.« Sie schloss die Augen, rief sich das Bild des Mörders deutlich in Erinnerung und murmelte: »Es hat mich krank gemacht.«
Wütend auf sich selbst, griff sie erneut nach ihrem Weinglas und trank einen großen Schluck. »Ich musste es den Eltern sagen. Ich musste ihnen ins Gesicht sehen, als ich mit ihnen sprach. Und Vandoren, auch bei ihm musste ich hilflos mit ansehen, wie er verzweifelt versucht hat zu verstehen, dass seine Welt von einem anderen Menschen total aus den Angeln gehoben worden war. Sie war eine nette Frau, eine einfache und nette Frau, die glücklich war mit ihrem Leben und über die bevorstehende Verlobung, aber dann öffnet sie jemandem die Tür, der von seiner äußeren Erscheinung her die personifizierte Unschuld ist. Und deshalb ist sie tot. «
Da er sie kannte, nahm er ihre Hand und öffnete sanft die von ihr geballte Faust. »Dass dich die Sache berührt, macht dich nicht zu einer schlechteren Polizistin.«
»Je mehr Fälle einen derart berühren, umso unschärfer werden die Konturen, umso rascher erreicht man seine Grenze und den Zeitpunkt, an dem man hundertprozentig weiß, dass man keinen Toten mehr erträgt.«
»Ist dir jemals der Gedanke gekommen, eine Auszeit zu nehmen?«
Sie runzelte die Stirn, und er grinste verständnisvoll. »Nein, natürlich nicht. Du wirst dich auch mit der nächsten Leiche auseinander setzen, denn das ist nicht nur dein Beruf, sondern liegt in deiner Natur. «
Sie verschränkte ihre Finger mit denen seiner Hand. »Ist sie die Einzige gewesen? Die einzig wahre Liebe? Oder war sie nur eine von zwölf?«
3
E ve drehte die zweite Runde auf dem Parkdeck des Einkaufszentrums und knirschte mit den Zähnen.
»Warum sind all diese Leute nicht arbeitsam in irgendwelchen Büros untergebracht? Warum haben sie nichts Vernünftiges zu tun?«
»Für einige Menschen ist Einkaufen die Hauptbeschäftigung im Leben«, antwortete Peabody ernst.
»Ja, ja.« Eve fuhr an einer Stelle vorbei, an der die Fahrzeuge wie Pokerchips zu sechst übereinander aufgestapelt waren. »Scheiße.« Sie drehte das Lenkrad, zwängte sich zwischen den Autostapeln hindurch und fuhr dabei so dicht an den fremden Stoßstangen vorbei, dass Peabody die Augen zukniff. »Schließlich kann man inzwischen alles bequem von zu Hause aus über das Internet
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