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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lager in Lichtungen auf, die Wirbelstürme aus dem Wald herausgedreht hatten. Zwischen zwei Stämmen spannten sie ihre Decken und banden die Pferdchen fest, eine winzige Burg, die niemand ungesehen angreifen konnte, denn er mußte den schützenden Wald verlassen und ins Freie treten.
    In den ersten Tagen begleitete sie das gewohnte Bild einer Suche: Hubschrauber schwirrten in geringer Höhe über die Wipfel der Bäume, Aufklärungsflugzeuge zogen größere Kreise über die Taiga. Es erregte Ludmilla und Semjonow nicht mehr. Wenn sie das Motorengebrumm in der Luft hörten, blieben sie stehen, zogen die Pferdchen in ein Gebüsch und warteten, bis alles vorüber war.
    Wenn es keine Flucht gewesen wäre, ein Weglaufen vor dem sicheren Tod, hätte man diesen Ritt durch den duftenden Wald herrlich, ja ergreifend nennen können.
    »Wir haben das Paradies erreicht, Pawluscha«, sagte Ludmilla am achtundzwanzigsten Tag, als sie wieder ihr Lager aufgeschlagen, Tee gekocht und ein großes Stück Hasenrücken über dem Feuer gebraten hatten. Nun lagen sie nebeneinander. Die Pferdchen hinter ihnen rieben die struppigen Köpfe an den Baumstämmen und rissen mit ihren rauhen Zungen Gras und Moos aus der Erde. »Laß uns hierbleiben, Pawluscha.«
    Semjonow starrte in den Abendhimmel. Er hatte jeden Begriff für Raum und Entfernungen verloren.
    »Wir müssen ein festes Dach haben, ehe es schneit.« Semjonow legte seine Hand auf Ludmillas Leib. Das Kind, dachte er. Sie wird es tatsächlich wie eine Wölfin gebären, in einer Hütte aus aufeinandergestapelten Stämmen.
    Seit Tagen dachte Semjonow an diese Geburt. Einmal müssen wir auch hier auf Menschen treffen, das war seine große, stille Hoffnung. Eine Fischersiedlung an einem Fluß, ein Jägerdorf, ein Flößerlager; es mochte sein, was es wollte, immer waren Frauen dabei. Und sie würden Ludmilla helfen in der schwersten Stunde und Semjonows Kind in die Welt heben, wie sie es mit den eigenen getan hatten.
    Mit dieser Hoffnung zog er weiter. Und nun, am achtundzwanzigsten Tag, als die Nächte kühl wurden und die Wildgänse sich zum Zug nach Süden an den Flußniederungen und in den Sümpfen sammelten, gab er die Hoffnung auf, noch Menschen zu treffen. Zu den Tieren der Taiga gehörten sie jetzt, und so würden sie auch leben in grandioser Einsamkeit und gnadenloser Härte.
    »Wir bleiben?« fragte Ludmilla wieder, und ihre Hand streichelte über seinen warmen Körper. »Ich weiß, Pawluscha, du denkst an den Winter.«
    »Ja, Ludmilluschka.« Er wandte den Kopf zu ihr und sah ihr glückliches Lächeln. Sie war so voll Liebe und Vertrauen und von einer fast kindlichen Zuversicht. »Laß uns noch einen Tag weiterziehen. Ich will unser Haus an einem Fluß bauen. Dann kann ich im Winter das Eis aufhacken und Fische fangen. Und zum Fluß kommen im Sommer auch die Tiere, und wenn ich mir ein Boot baue, kann ich mit der Strömung fahren und entdecke vielleicht eine andere Siedlung. Ein Flußufer ist immer ein guter Platz, Ludmilluschka.«
    Sie nickte und dehnte sich wohlig unter der Decke. Die Nacht kam schnell, und wieder hörten sie von fern das Tiergebrüll und das tausendfache Rascheln und Rauschen und Knacken und Wispern des Waldes.
    Am neunundzwanzigsten Tag, gegen die Mittagszeit, erreichten sie tatsächlich einen Fluß. Der Wald lichtete sich. Steinig, mit Geröll übersät, senkte sich das Land, und dann war er da, mindestens 400 Meter breit, majestätisch und mit rauschenden Stromschnellen, Inseln aus Sand und großen weißgrauen, in Jahrhunderten abgeschliffenen Steinen, mit schilfigen Ufern und Kieshalden, mit sandigem Strand und felsigen Uferböschungen, ein herrlicher Fluß, ein Silberstrom in der Sonne.
    »Unsere Heimat«, sagte Ludmilla ergriffen, als sie am Ufer standen und über die Strömung sahen. »Unsere wunderbare neue Heimat.«
    »Ja, hier bleiben wir«, stimmte Semjonow zu und reckte sich wie ein erwachender Bär. »Hier suchen wir uns ein Ufer, wo Schilf und Sand sind und der Wald nahe an den Fluß reicht.«
    Noch eine Stunde ritten sie flußabwärts. Dann gelangten sie an eine Landzunge, die in den Fluß hineinragte. Zwischen Büschen, verkrüppelten Birken, Weiden und windgebeugten Lärchen sahen sie ein Dach aus geflochtenem Schilf, mit Moos bewachsen.
    »Menschen!« rief Semjonow. Es klang erlöst und doch enttäuscht. »Eine Hütte …«
    Langsam ritten sie einen überwachsenen Weg entlang zur Landzunge. Er sah nicht danach aus, als sei er in den letzten

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