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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie wehrte sich und umarmte den Toten.
    »Ja!« Ihre Hand glitt über sein starres Gesicht. »Er war mein Fjojo, mein Leben …«
    »Er war ein Amerikaner!« sagte Semjonow fest. »Ein amerikanischer Spion.«
    Durch die Kirstaskaja lief ein heftiges Zittern. Ihr blonder Kopf wühlte sich tiefer in das Bett. Dann aber schnellte sie hoch und starrte Semjonow haßerfüllt an.
    »Fjodor Borodinowitsch Awdej hieß er!« schrie sie. »Du Lügner. Du Verleumder! Einen Toten bewirfst du mit Mist! Hinaus mit dir!«
    Semjonow blieb stehen. Ludmilla war zur Tür zurückgewichen. Ihr kleines, schmales Gesicht unter den schwarzen Haaren war farblos. Sie ahnte nun alles. Sie glaubte zu wissen, warum Semjonow und Awdej weggegangen waren, sie hatte es gleich gewußt, als sie bemerkte, daß beide Gewehre fehlten. Da war sie herumgelaufen, stumm, hatte am Fenster gesessen und gebetet, bis sie Pawluscha auf seinem Pferdchen kommen sah. Er war herangestürmt wie der wilde Jäger, über den Nacken des Pferdes gebeugt gleich einem angreifenden Kosaken.
    »Er hieß Bradcock«, fuhr Semjonow ungerührt fort. »Major James Bradcock. Abteilungsleiter beim CIA. Er … er war mein Freund.«
    »Dein Freund?« Die Kirstaskaja ballte die Fäuste. »Und wer bist du?«
    »Semjonow. Du kennst mich doch.«
    »Lüge! Lüge!« Die Kirstaskaja warf die Fäuste hoch und sprang Semjonow an. Er fing den Schlag auf und hielt ihre Arme fest. »Du hast ihn umgebracht, du Mörder!« schrie sie. »Du hast meinen Fjojo getötet! Du hast Fjojo ermordet! Erschießen wird man dich! Aufhängen! In ein Bleibergwerk stecken!« Sie war außer sich, eine Furie, die gegen sich, die Menschen, die ganze Welt tobte. Sie riß sich los, warf sich wieder über den Toten, küßte ihn, schnellte herum, sprang Semjonow an und ohrfeigte ihn, ehe er sich wehren konnte.
    »Verhaften lasse ich dich!« kreischte sie. »Jetzt! Sofort! Auf der Stelle! Wer weiß, wer du bist? Wer kennt dich denn? Wo kommst du her? Pluchin hat dich geschickt. Man wird feststellen, woher du kommst!«
    Semjonow packte die Kirstaskaja, schob ihr ein Taschentuch in den offenen Mund, warf sie neben das Bett des Toten und band sie mit Mullbinden und einem Strick, den er aus der Tasche zog, an den Pfosten fest. Er tat es ungern, er hatte sich immer gescheut, eine Frau anzugreifen; aber auch das hatte man ihn in den USA gelehrt, daß eine Frau gefährlich sein kann und dann zu behandeln ist wie ein harter Mann. Und als er jetzt in die Augen der Kirstaskaja blickte, in diese glühenden Augen voller Haß, wußte er, daß er richtig handelte, sosehr sich sein Inneres auch dagegen sträubte. Er hob die Hand, ballte sie zur Faust und schlug dann gegen die Schläfe der Kirstaskaja. Ihr Blick wurde wässerig, dann erlosch er ganz, und der Körper sank schlaff in der Fesselung zusammen.
    »Du hast sie erschlagen«, stotterte Ludmilla.
    »Nur betäubt ist sie. Komm, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
    Sie verließen das Zimmer, schlossen es ab, warfen den Schlüssel in das Bad und sagten dem Arzt, der ihnen begegnete, daß die Chefin nicht gestört werden wolle. Sie sei bei dem Toten und melde sich später.
    Eine Stunde später ritten Semjonow und Ludmilla auf den beiden Pferdchen, die dem Krankenhaus gehörten, aus der Stadt hinaus nach Osten. Der Sturm hatte sich gelegt. Er wehte zwar noch ein wenig, aber aus dem Gelbgrau des Himmels schälten sich blaue Flecken, und darüber ahnte man die Sonne. Schwer bepackt waren die Gäulchen, und Ludmilla hatte vor sich im Sattel genau wie Semjonow eine schußbereite Tokarev liegen.
    »Wie gut, daß Sommer ist«, sagte Ludmilla nach einer Weile, in der Semjonow stumm und vor sich hinstarrend vor ihr hergeritten war. Sie kam neben ihn und griff zu ihm hinüber an seinen Ärmel. »Du, wir können die ganze Nacht durchreiten …«
    »Du hältst es nicht aus, Ludmilluschka!«
    Sie ritten sieben Stunden ohne Halt, ohne Unterbrechung. Sie ritten, bis Ludmilla schlafend von ihrem Pferdchen glitt und Semjonow sie unter ein Gebüsch trug und eine Decke über sie breitete.
    Die Nacht war tief und fast lautlos. Nur die Bäume ächzten, jenes rätselhafte, menschlich klingende Ächzen, das durch die ganze Taiga zieht.

11
    Generalmajor Matweij Nikiforowitsch Karpuschin war in einer merkwürdigen Lage, als er dem toten Awdej, der eigentlich Bradcock hieß, in das starre, weißgelbe Totengesicht sah und wußte, daß dieser Tote im Augenblick gefährlicher war, als der Lebende hätte sein

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