Liebesnächte in der Taiga
und überließ es der Hitze, das Leder zu gerben. Eine Woche lang stank es fürchterlich nach Aas, und Ludmilla übergab sich jedesmal, wenn sie an das Fell kam, um es zu begießen, aber dann hatte die Sonne die Haut ausgeglüht und das letzte Leben aus den Poren weggesogen.
Zu Beginn der vierten Woche – nachts war zum erstenmal Schnee gefallen, den der Regen am Morgen wegspülte – sah Semjonow einen schlanken Kahn den Fluß heraufkommen. Drei Männer in Lederkleidung ruderten ihn. Sie hatten über ihren Köpfen eine Zeltplane auf Stangen gespannt und waren so vor dem Regen geschützt. Sie steuerten auf die kleine Landzunge zu, und Semjonow, der im Uferschilf hockte, entsicherte sein Gewehr, als er sah, wie einer der Männer auf den Rauch zeigte, der über der Hütte mit dem Wind wegflatterte. Ludmilla kochte eine Kascha und hatte den Herd dick mit Holzkloben belegt.
Kurz vor dem Landesteg, den Semjonow ausgebessert hatte, hielt das Boot im seichten Wasser an, und einer der Männer stemmte eine Stange als Bremse gegen die Strömung.
Der Regen rann in dicken Fäden vom Himmel. Semjonow legte das Gewehr an und wartete.
»Ist da jemand?« schrie der vordere Mann im Boot. Er trug die spitze sibirische Pelzkappe mit den Ohrenschützern, wie sie die Tungusen aus Fuchs- oder Hundefell anfertigen. Das Gesicht konnte Semjonow nicht erkennen, es lag im Schatten der Zeltplane.
Aber die Zeltplane erkannte er, und sein Herz krampfte sich zusammen. Es war die grün-braun-gelb gefleckte Plane, wie er sie selbst durch Rußland geschleppt hatte. In dieser Plane hatte er die toten Kameraden weggetragen; mit dieser Plane hatte er sein Schützenloch abgedeckt, wenn es regnete; unter dieser Plane hatte er geschlafen und geträumt vom Frieden, der Heimat und dem Mädchen in Riga, das er liebte. In dieser Plane empfing er sein Viertel Brot, die Marmeladendose und die Fleischkonserve, und diese Plane hatte ihm auf dem schwarzen Markt vier Pfund Kartoffeln eingebracht, von denen ein Pfund ungenießbar und verfault war.
»Ist da jemand?« schrie der Mann im Boot noch einmal. Er hatte eine Art Harpune in der Hand, und als niemand antwortete, warf er sie geschickt ans Ufer. Sie bohrte sich in den Boden, und langsam zogen die Männer das Boot am Harpunenstrick bis zum Steg, gegen die Strömung, die hier in Wirbeln gurgelte.
Sie machen das nicht zum erstenmal, dachte Semjonow. Sie gehören hierher. Es wird ihre Hütte sein.
Mit dem Gewehr im Anschlag trat er aus dem Schilf ins Freie, im selben Augenblick, als die drei auf dem Steg standen und das Boot an einem Pfahl festbanden.
»Wer seid ihr?« fragte er laut.
Die drei Männer fuhren herum und starrten in die Mündung der Tokarev. Nun sah auch Semjonow, daß es keine Tungusen oder Jakuten waren, sondern weißhäutige Russen mit glattrasierten Gesichtern und fast europäischem Aussehen.
»Nimm das Gewehr weg, Brüderchen«, sagte der vordere der drei. »Wir dachten uns schon, daß jemand in unserer Hütte wohnt. Von selbst qualmt ein Öfchen nicht, das tun sie nur im Märchen, nicht wahr?«
»Die Hütte gehört euch?« fragte Semjonow. »Wer soll euch das glauben? Seit Jahren ist sie nicht bewohnt, das habe ich gesehen.«
»Wir kommen jedes zweite Jahr hierher.« Der Mann blickte hinüber zur Hütte und zu dem aufsteigenden Rauch aus dem Kamin. »Wer ist noch bei dir, Brüderchen?«
»Meine Frau Ludmilla.«
»Oha, ein Weibchen! Wo kommt ihr her?«
»Was kümmert's dich?« Semjonow hob wieder das Gewehr. »Steigt wieder ein und fahrt ab.« Doch dann dachte er daran, daß diese drei nicht allein auf der Welt waren und daß sie nach ihrer Rückkehr Alarm schlagen würden. Sie würden berichten, was sie gesehen hatten, und man würde kommen, um den unbekannten Mann mit seiner schwangeren Frau abzuholen.
Semjonow trat noch einen Schritt zurück. »Es ist bedauerlich, Genossen, daß ich euch töten muß«, sagte er mit klarer Stimme. »Aber mein Leben duldet keine fremden Augen. Es ist euer Unglück, daß ihr gekommen seid.« Semjonow hob das Gewehr an die Backe. Die drei Männer standen eng beieinander, wie Kühe, die sich vor einem Gewitter zusammendrängten. Ihre Gesichter waren wie weiße Scheiben, ausdruckslos und starr. Nur die Augen wanderten und suchten einen Ausweg.
»Nun tu mal was, Egon«, sagte einer der Männer leise. »Lenk ihn ab! Der kann uns doch nicht einfach abknallen …«
Semjonow zuckte zusammen. Das Gewehr fiel ihm aus der Hand, er breitete die Arme aus,
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