Liebesnächte in der Taiga
Jahren befahren worden. »Hallo!« rief Semjonow, als sie sich dem Haus näherten, einem Blockhaus aus dicken rotschwarzen Lärchenstämmen, von einem verfallenen Zaun umgeben, der einer Palisade glich, denn die Bretter waren oben angespitzt. Verrosteter, zerrissener Stacheldraht war mit den Latten verflochten. »Hallo, Freunde!« schrie Semjonow noch einmal und legte beide Hände als Trichter vor den Mund. »Verbergt euch nicht, Brüderchen. Gute Menschen kommen! Ich wünsche euch chleb-sol!«
Sie warteten auf eine Antwort, aber nichts im Hause rührte sich.
»Es ist verlassen«, sagte Semjonow und stieg von seinem Pferd.
»Oder sie warten, bis sie dich treffen können.« Ludmilla hielt Semjonow an der Jacke fest. »Laß uns weiterreiten, Pawluscha.«
»Ist das Haus verlassen, haben wir alles, was wir suchen, Ludmilla. Land, Wasser, den Wald, ein festes Dach. Ich sehe nach.«
Nun stieg auch Ludmilla ab. Während Semjonow langsam auf das Haus zuging, stand Ludmilla neben den Gäulchen, das Gewehr schußbereit in den Händen. Sie beobachtete die verriegelten Fenster und die Tür des Schuppens, die windschief und verfault an einer einzigen Angel hing.
Noch einmal blieb Semjonow stehen und rief: »Gott segne euch, Brüderchen! Heute ist ein guter Tag …« Aber niemand antwortete.
Es dauerte einige Minuten, und Ludmilla spürte heiße Angst in ihrer Kehle, als das Fenster zum Wald aufgestoßen wurde. Sie hob das Gewehr. Aber da erschien der Kopf Semjonows. Er lachte und winkte mit beiden Händen, beugte sich aus dem Fenster und schrie: »Es ist leer, mein Täubchen! Seit Jahren ist es nicht bewohnt! Der Himmel hat uns eine Heimat geschenkt.«
Welche Freude! Mit den Pferdchen am Zügel rannte Ludmilla zum Haus hinunter. Dort stand Semjonow vor der Tür, verbeugte sich, ganz wie ein Herr, machte eine weite Handbewegung, die Haus, Wald und Fluß umfaßte, und sagte mit dröhnender Stimme: »Willkommen, Großfürstin von Taigask. Verfügen Sie über den Palast und das Land. Es ist Ihr Besitz …«
Arm in Arm, wie fröhliche Kinder, lachend und befreit von allen Zukunftssorgen, gingen sie in das Haus.
Es war eingerichtet wie alle Blockhäuser Sibiriens. Ein riesiger, aus Flußsteinen gemauerter Ofen, ein offener Steinherd, eine Bank, drei Hocker und ein massiver, mächtiger Tisch, an den anderen Wände Bettkisten mit Moos und Blättern gefüllt, die jetzt verschimmelt waren und in denen Salamander raschelten und Flußmäuse nisteten. In einer kleinen Hinterkammer lagen Werkzeuge. Äxte ohne Stiel, ein Hammer, zwei Schaufelblätter, eine verrostete Zange, eine Kiste mit Nägeln, zerrissene, verrottete Netze, drei Kescher ohne Netz, vier große Holzwannen und eine Reihe runder Schüttelsiebe, mit verschiedenen Siebgrößen, vom groben Netz bis zum haarfeinen Geflecht.
Sinnend betrachtete Semjonow die Siebe. Nebenan im großen Zimmer stieß Ludmilla die anderen Fenster auf und lachte hell, als sie die Köpfe der Pferdchen in der Tür sah.
»Ist es nicht schön hier, ihr Lieben?« rief sie fröhlich und drehte sich im Kreis. »Seht euch um, ihr Gäulchen. Einen Stall werdet ihr haben und gute Nahrung, und wenn der Winter kommt, liegt ihr auf trockenem Moos. Ein Paradies ist's, seht ihr? Wir haben das Paradies gefunden!«
Man darf nicht glauben, daß Karpuschin untätig war, als feststand, daß man Semjonow und seine Frau wiederum aus den Augen verloren hatte. Zwar tobte er wie in alten Tagen, nannte die Flugzeugbesatzungen blinde Wanzen und die Offiziere der Sucheinheiten lahme Läuse, alles Worte, die nicht zu Karpuschins Beliebtheit beitrugen, aber auch keinen Widerspruch duldeten.
»Wie will man die Weltrevolution zum Erfolg führen, wenn man nicht mal einen einzigen Mann fangen kann?« schrie er die Offiziere bei der Abschlußbesprechung eine Woche nach Bradcocks Tod an. »Was soll ich nun nach Moskau melden? Amerikanischer Spion durch die Dummheit sowjetischer Soldaten erneut entkommen? Ist's so recht, Genossen? Oh, wenn ich Sie ansehe, Sie stupide Ameisen, kommt mir der Magen hoch! Wegtreten!«
Aber damit war nichts gewonnen. Bradcock konnte man verschweigen, aber Heller, dieser Hund von einem Spion, mußte nach Moskau gemeldet werden. Acht Tage lang waren die Truppen um Oleneksskaja Kultbasa im Einsatz gegen einen einzelnen Mann, das mußte belegt werden. Zum Kotzen war's, und Karpuschin schrieb auch in seine Meldung, daß die Schuld nicht bei den Armee-Einheiten, sondern bei der Weite und
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