Liebesnächte in der Taiga
Undurchdringlichkeit des Landes läge. Fast poetisch lautete der Schluß seiner Meldung: »Es ist zu bedenken, daß man wohl auf dem Meer ein Schlachtschiff, aber nicht in einem Heuhaufen ein Staubkorn finden kann. Da aber Semjonow-Heller nur notdürftig ausgerüstet ist, steht zu erwarten, daß er sich bei Einbruch des Winters gezwungen sieht, Siedlungen aufzusuchen, um sich wintermäßig auszurüsten. Alle Stationen, Faktoreien und Dörfer sind verständigt. Nach menschlichem Ermessen kann er nicht mehr entkommen.«
Matweij Nikiforowitsch Karpuschin wäre kein Mann des KGB gewesen, wenn er den Tod Bradcocks nicht doch ausgenützt hätte. Nicht amtlich, denn amtlich war nur ein Fjodor Borodinowitsch Awdej begraben. Aber mit ein wenig Hirn – und Karpuschin war ein Mensch, der genug Hirn besaß – konnte man den Gegner treffen, ohne selbst ins Schußfeld zu geraten. Mißtrauen ist etwas, was im Geschäft der Geheimdienste wie Schimmel auf dem Brot ist. Und Mißtrauen war es, was Karpuschin mit einem eleganten Trick in die Herzen der CIA-Kollegen säen wollte.
Mit der Kurierpost schickte Karpuschin die Mikrokamera und einen unbelichteten Film nach Moskau an einen Vertrauensmann. Zwei Tage später lagen beide Dinge auf dem Schreibtisch von Oberstleutnant Hadley in der Amerikanischen Botschaft von Moskau. Der Botschafter und sämtliche Attachés waren um den Tisch versammelt und betrachteten Kamera und Filmrolle. Hadley rauchte nervös und trank schon das vierte Glas Whisky.
»Was soll man davon halten«, sagte er. »Es sind einwandfrei die Sachen, die ich Bradcock mitgegeben habe. Daß sie jetzt wieder hier sind, über einen unserer Kontaktmänner, beweist, daß Bradcock nicht mehr lebt. Ich lese Ihnen vor, meine Herren, was mir berichtet worden ist: James Bradcock ist südlich von Krasnojarsk erschossen worden, und zwar von Franz Heller. Während man James fand, ist Heller weiter flüchtig. Er hat, so wird ferner berichtet, einen Zettel bei Bradcocks Leiche hinterlassen, daß er alle CIA-Kontaktmänner auf diese Weise umlegen wird!« Hadley zerdrückte seine Zigarette und deckte ein Tuch über Kamera und Film, als seien sie das Antlitz Bradcocks. »Was halten Sie davon, meine Herren?«
»Ein tolles Ding!« Der stellvertretende Botschafter nagte nervös an den Fingernägeln. »Man sollte alle V-Männer warnen.«
»Natürlich. Aber wissen wir, ob nicht gerade das der Sinn dieser Information ist? Panik unter den amerikanischen Agenten! Wissen wir, ob Bradcock vielleicht doch noch lebt? Man kann ihm diese Dinge auch abgenommen haben.« Oberstleutnant Hadley steckte sich mit unruhigen Fingern eine neue Zigarette an. Auch ein CIA-Mann hat nur Nerven und keine Drahtseile im Körper. »Ich halte einen anderen Weg für besser. Wir lassen dem KGB zugehen, daß wir an Bradcocks Weiterleben glauben und sogar von ihm einen Funkspruch bekommen haben. Das wird sie irremachen. Wir kennen doch die Reaktion der Russen. Erst wenn man mir die Leiche Bradcocks zeigt, glaube ich an seinen Tod. Offiziell.« Hadley senkte den Kopf, seine Stimme verlor den forschen Klang. »Wenn auch für mich sicher ist, daß James nicht mehr lebt …«
Drei Wochen räumten Ludmilla und Semjonow das verfallene Haus auf, flickten das Dach mit neuen Schilflagen, reparierten Türen und Fensterläden, reinigten den Schornstein, in dem eine Dohle genistet hatte, flochten aus zwei zerrissenen Netzen ein ganzes, schossen Hasen und ein wildes Ren, salzten das Fleisch für den Winter in einer Holztonne ein, hackten Holz und schnitten Gras, um Heu für die Pferdchen zu haben. Am vierten Tag gelang Semjonow ein seltener Schuß. Ein mächtiger Bär mit schwarzem Pelz, dessen Haarspitzen schon weißlich schimmerten, ein guter, alter Vater also, tappte am Flußufer entlang, setzte sich in den Sand und fing mit schnellen Tatzenhieben Fische. Semjonow hatte keine Mühe, ihn aus kurzer Entfernung ins Herz zu schießen. Mit einem dumpfen Brüllen sank er um und wühlte die spitze Schnauze im Todeskampf tief in den Ufersand.
»Das wird unsere Schlafdecke für den Winter«, rief Semjonow, als er das blutige Bärenfell bis zur Hütte geschleift hatte. »Eine Schande ist es, daß wir es nicht richtig gerben können.«
Ludmilla schabte drei Tage lang die Fleischfetzen von der Bärenhaut, ehe sie, die Lederseite nach oben, das Fell in die Sonne legte. Dann goß sie Salzlauge darüber und wiederholte es, wenn die Sonne sie getrocknet hatte, bespritzte das Fell mit Wasser
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