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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gebildeter Mensch so dumm lügen?« schrie Karpuschin. »Woher kam er denn? Was wollte er hier? Gerade hier, wo Mütterchen Rußlands neues Herz entsteht?«
    »Er suchte Arbeit, und ich nahm beide an.«
    »Ohne Papiere?« Karpuschin kratzte sich den Kopf.
    »Er hatte Papiere.«
    »Gefälscht!« schrie Karpuschin.
    »Wer achtet darauf in der Taiga? Wer hier lebt und arbeiten will, muß ein Russe sein.«
    Es war nichts zu machen. Wenn man die Lage Karpuschins überdenkt, hatte er ein Recht auf Mitleid. Ein toter Amerikaner, zwei flüchtige Staatsfeinde, und das alles auf einem Gebiet, das zur Geheimnisstufe I des sowjetischen Vaterlandes erklärt worden war.
    Als man draußen im Flur das Brüllen des Generals nicht mehr vernahm, brachte man den Koffer und den Reisesack des toten Awdej herein, die sein Hausnachbar, der junge Oberleutnant, im Krankenhaus abgeliefert hatte. Außerdem ließ er bestellen, daß Awdejs Haus in der Frunsestraße nächste Woche zu beziehen sei. Alle Handwerker erfüllten an diesem Tag das dreifache Soll.
    Karpuschin war höflich, ließ die Sachen auf den Tisch legen, schloß dann die Tür ab und öffnete Koffer und Reisesack.
    Beschämend war es, Freunde, was da zutage kam.
    Neben Wäsche und schlechten russischen Socken, einem Anzug und einigen Lehrbüchern über Geologie, Büchsen mit Schmalzfleisch und Sojabohnen in Tomatensoße, einer Plastiktüte mit Grieß, einer Dose Fisch und zwei Säcken mit Reis fand Karpuschin eine Mikrokamera und vier bereits belichtete Filme in einer Ölsardinenbüchse mit einem Patentdeckel.
    Karpuschin, dem nichts fremd war, was in das Gebiet der Spionage fiel, trennte den Doppelboden des Koffers auf, zerschlitzte den Sack und holte wunderliche Dinge hervor. Spezialkarten von Norilsk und Krasnojarsk, einen Code, kleine Rollen Plastiksprengstoff, in Metallhülsen verpackt, neue Filme, ein Mikroskopierbesteck, einen Kugelschreiber mit unsichtbarer Tinte.
    »Aha!« schrie Karpuschin bei jeder neuen Entdeckung. »Aha! So ein Lump! So ein schwerer Junge! Ein Fachmann, wahrhaftig! Ein goldener Fang! Nur schade, daß er nicht Bradcock ist, sondern der arme verunglückte Awdej, ein Geologe aus Moskau.«
    Karpuschin setzte sich neben die Kirstaskaja und tippte gegen ihre Schulter. Langsam wandte sie ihm das erstarrte Gesicht zu.
    »Wo kann man das alles verschwinden lassen, Schwesterchen?« fragte er. »Gründlich verschwinden.«
    »Verbrennen.« Die Kirstaskaja blickte wieder auf den Toten.
    »Das gäbe ein Feuerwerk mit dem Plastiksprengstoff! Ich werde alles in den Olenek werfen.« Karpuschin schob die Ausrüstung Bradcocks wieder in den Kleidersack und verschnürte ihn. »Ich werde Ihnen eine amtliche Empfangsbescheinigung über die Habseligkeiten Awdejs schicken, Genossin«, sagte Karpuschin dienstlich. »Die Leiche des armen Fjodor Borodinowitsch wird sofort abtransportiert …«
    »Nein!« Die Kirstaskaja sprang auf und stellte sich vor das Bett. »Ich habe gestanden, daß ich einem amerikanischem Spion Unterschlupf gegeben habe. Ich war seine Geliebte. Und ich gestehe ferner, daß ich ihn weiter verborgen hätte und seine Geliebte geblieben wäre, auch wenn ich erfahren hätte, daß er ein Amerikaner ist. Für dieses Geständnis bitte ich um ein christliches Begräbnis Bradcocks.«
    »Alles, was Sie reden, ist Unsinn, Schwesterchen«, antwortete Karpuschin. »Im Bett liegt der Geologe Awdej. Er starb in Ausübung seines Dienstes für das Vaterland und wird als Aktivist von uns begraben werden. Mit Fahnen und Schalmeien und einem Ehrenzug Infanterie. Vielleicht bekommt Awdej sogar eine Medaille für besondere Verdienste, wer weiß? Bradcock lebt in Bad Godesberg, gewöhnen Sie sich endlich daran, Katharina Kirstaskaja!«
    Vier Wochen lang zogen Ludmilla und Semjonow durch den Wald.
    Es war ja Sommer. Die Sonne schien auf den nie ganz auftauenden Waldboden; die Lärchen dufteten nach Harz; in den Sümpfen an den Ufern der kleinen Taigaflüsse schwirrten die Mücken und Moskitos; der Bär jagte nach Bienenstöcken; Wiesel und Hermelin schossen wie braune Pfeile durch das Moos; und nachts, in den kalten Niederungen und Senken des welligen Landes, hörte man ab und zu das Heulen der Wölfe und einmal sogar das brüllende Fauchen eines Tigers. Dann kroch Ludmilla ganz nahe an Semjonow heran, sie entsicherten ihre Gewehre und saßen am niedrig gehaltenen Lagerfeuer, oftmals stundenlang Rücken an Rücken, und beobachteten den Waldrand vor sich. Immer schlugen sie ihr

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