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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schlitten, Freunde. Ich glaube nicht an die Geister der Taiga, die Menschen in Bäume verwandeln. Oder ihr?«
    Die deutschen Verbannten lächelten, aber in den Augen der kleinen Jakuten und alten Sibiriaken sah er Zweifel und Schrecken. Sie kannten die Taiga, und sie wußten, daß in ihr möglich war, was sonst überall auf der Erde als unmöglich galt.
    Semjonow wachte auf, weil ihn jemand rüttelte und von den Lederfesseln losband. Illarion kniete neben ihm, roch nach Knoblauch, Zwiebelbraten, Kwass und süßlich strengem Schweiß. Er trug nur ein weites gelbweißes Hemd mit langen Ärmeln, das bis zu den Knien reichte und von bewundernswerter Sauberkeit war.
    »Aufwachen, mein Bärchen!« rief er fröhlich und klatschte Semjonow auf die Wangen. »Der Morgen leuchtet, die Sonne scheint sogar, du kannst ins Zimmer kommen. Marfa ist schon weg, um für die Kinderchen zu sorgen.« Illarion half Semjonow aufzustehen, denn Semjonows Glieder schmerzten und waren steif von der unglücklichen Lage. Illarion führte ihn in die Stube und ließ ihn vor einem Tisch niedersitzen, auf dem der heiße Teetopf stand. »In einer Stunde ist die Versammlung, Freundchen. Es wird sich vieles ändern, vieles!« sagte Illarion geheimnisvoll, ging zum Herd, streifte das Hemd über den Kopf und wusch sich nackt und ungeniert an einem Holztrog voll dampfenden Wassers.
    Nachher aßen sie Eier mit Speck, tranken Tee und rollten sich aus grob gehacktem Tabak Zigaretten. Illarion wurde nicht müde, die Vorzüge Marfas zu besingen und das herrliche Leben der Freiheit, das ein Brodjaga in der Taiga führt.
    »Man darf sich natürlich nicht erwischen lassen, Brüderchen«, sagte er und saugte das Fett mit einem großen Stück glitschigen Brotes aus der Pfanne. »Wenn man uns fängt, geht's um unser Leben! Deshalb ist es auch dein Unglück, Freundchen, daß du in meine Bärengrube gefallen bist und nun nicht mehr zurück kannst.«
    »Ich werde niemandem von euch erzählen.« Semjonow rauchte mit tiefen Zügen den beizenden Tabak. Illarion schüttelte den dicken Kopf.
    »Was sind Versprechungen, mein Lieber? Laß uns davon schweigen. Es ist erledigt.«
    Kurz nach dem Frühstück füllte sich die große Stube in Illarions Haus. Fünfzehn der entsprungenen Sträflinge setzten sich an den gescheuerten Tisch, alles wilde, bärtige Gestalten in Wolfsfellen und dicken Pelzstiefeln, hohen Mützen aus Fuchsbälgen und Handschuhen aus Rentierbäuchen. Eine recht abenteuerliche Gesellschaft war's, die da in Illarions Hütte trat. Stämmige Burschen waren darunter und kleine, zierliche Männlein. Der Jüngste schien um die Zwanzig zu sein; der Älteste trug einen langen weißen Bart wie ein Pope. Anführer aber war nicht der größte an Gestalt, sondern ein kleiner, zarter Mensch, der als einziger rasiert war und einen schmalen Kopf mit kleinen mausgrauen Äuglein hatte. Man nannte ihn ›Professor‹, wie Semjonow gleich zu Beginn verwundert hörte. Er setzte sich Semjonow gegenüber, entrollte einen Bogen Papier und legte einen Bleistift daneben.
    »Fangen wir also an!« sagte der ›Professor‹ ohne Einleitung, nachdem er Semjonow gemustert hatte. »Illarion hat dir erzählt, wer wir sind.«
    »Ja«, antwortete Semjonow abwartend.
    »Mörder sind wir, Verbrecher, Halsabschneider, Diebe, Gauner, Revolutionäre, Bombenleger, alles, was es Schlechtes auf der Welt gibt! Deshalb haben wir auch kein Gewissen, und wir werden dich ganz einfach hier auf dem Tisch in Stücke reißen, wenn du uns belügst oder dich wehrst, das zu tun, was wir wollen.«
    »Das ist mir klar«, sagte Semjonow gepreßt.
    Der ›Professor‹ schob Semjonow das Blatt Papier hin und warf den Bleistift hinterher. »Zeichne den Ort Nowo Bulinskij«, sagte er dabei. »Mach einen Plan! Wo die Kirche liegt, das Krankenhaus, die Vorratshäuser, der Wasserturm, die Häuser der Bauern, die Poststelle, das staatliche Warenmagazin, das Haus des Dorfsowjets, die Schneiderei, die Bäckerei, der Schuhmacher, alles.«
    »Warum?« fragte Semjonow.
    Illarion legte ihm die Hand auf die Schulter. Er stand hinter Semjonow und hatte ein ungutes Gefühl, denn schließlich hatte er ihn mitgebracht.
    »Den ›Professor‹ fragt man nicht, Brüderchen. Man tut, was er will.«
    »Das mag für euch zutreffen!« antwortete Semjonow und warf den Bleistift auf den Tisch. »Ich bin mein eigener Herr.«
    »Ein störrischer Mensch!« Der ›Professor‹ lächelte. In seinen Mausäuglein tanzte ein böser Funke. »Welche

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