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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mühe hat man doch immer mit dem menschlichen Widerspruchsgeist. Überzeugt ihn, Freunde.«
    Zwei kräftige Männer rissen Semjonow vom Stuhl, drehten ihm die Arme nach hinten, und Illarion band ihm die Beine mit einem Lederstrick zusammen.
    »Wozu wollt ihr den Ortsplan?« fragte Semjonow heiser.
    »Zur Orientierung, mein Freund.« Der ›Professor‹ hielt ihm den Bleistift unter die Nase. »Es ist besser, zu zeichnen. Ein halbwegs Intelligenter muß das einsehen. Nur kommt es darauf an, genau zu zeichnen. Zwei Freunde werden es morgen nachprüfen und als reisende Händler nach Nowo Bulinskij gehen. Ist der Plan ungenau oder gar falsch, ist das Betrug. Betrug ist bei uns ein tödliches Delikt. Jeder lebt hier durch die Ehrlichkeit des anderen, eine einzige Familie sind wir. Verstehen wir uns, Brüderchen?«
    »Ja.« Semjonow nickte. Man ließ ihn los, er setzte sich und starrte auf den weißen Bogen Papier.
    »Fang mit der Lena an«, sagte der ›Professor‹ fast gütig. »Dann hast du eine feste Linie. Von ihr aus gehst du bis zum Wald und dann in die Breite. Ich weiß, daß du es kannst. Illarion sagte mir, daß du ein Ingenieur bist. Nun wehr dich nicht, Brüderchen. Ein Leben bei uns ist immer noch besser als ein Loch unter einer Baumwurzel. Auch das dreckigste Leben ist schön, weil man lebt! Man muß so werden wie wir, um das zu begreifen …«
    Semjonow schwieg. Und dann zeichnete er Nowo Bulinskij. Keine Feigheit war's, sondern die Hoffnung, doch noch zurück zu können zu Ludmilla und der kleinen Nadja. Und während er zeichnete, begann er plötzlich an Wunder zu glauben, warum, das konnte er nicht sagen; aber er hoffte nun auf ein Wunder, das ihn wegführte aus dem Waldlager der Brodjagi, und nur deshalb zeichnete er, um Zeit zu gewinnen und dem Schicksal Raum zu lassen, Wunder zu tun.
    »Gut!« sagte der ›Professor‹, als Semjonow nach etwa einer Stunde Bleistift und bemalten Bogen von sich schob. »Es sieht vernünftig aus. Nun werden wir nachprüfen, ob es stimmt.« Er erhob sich, rollte den Bogen zusammen und steckte ihn in den breiten Gürtel. Zu Illarion sagte er: »Bind ihn wieder fest. Ich weiß noch nicht, was mit ihm geschieht.« Dann blieb er an der Tür stehen, sah sich zu Semjonow um, und seine Mausäuglein strahlten. »Du bist mir zu intelligent, Brüderchen«, sagte er laut. »In der Gesellschaft dieser Kerle wärest du wie ein Wundertier, das sie anstaunen. Es genügt aber, wenn hier nur ein ›Professor‹ ist.«
    Es war ein Todesurteil, wenn es auch eleganter und höflicher gesagt wurde als ein plumpes: Du mußt sterben. Semjonow verstand es. Er wandte sich ab und drehte dem ›Professor‹ den Rücken zu.
    Den Rest des Tages verbrachte er in der fensterlosen Nebenkammer zwischen den Mehl- und Getreidesäcken. Illarion hatte ihn eingeschlossen. Semjonow klopfte die Wände ab – es gab keine Hoffnung. Dicke Balken waren es, aufeinandergelegt, mit lehmverschmierten Ritzen. Hier half nicht einmal eine Axt. Es war eine Wand, die für hundert Jahre gebaut worden war.
    Für die Nacht wurde Semjonow wieder gefesselt. »Es muß sein, Brüderchen«, bedauerte Marion, als er ihm die Lederschnüre festband. »Der ›Professor‹ will es so. Und wenn er kontrolliert und findet dich nur eingeschlossen …«
    »Ihr habt wohl alle große Angst vor ihm, was?« fragte Semjonow.
    »Er ist ein kluger Kopf, Freundchen. Die Idee des Ausbruchs stammte von ihm. Und alles lief reibungslos. Er ist wirklich ein Professor. Aus Charkow. Ein Genie ist er! Wir haben nie bereut, daß er uns sagt, was wir tun sollen.«
    »Natürlich«, stimmte Semjonow zu, legte sich zwischen die Getreidesäcke und ließ sich anbinden.
    Ein Wunder, dachte er, als er wieder allein war in der Finsternis. Es ist das einzige, was mir geblieben ist … die Hoffnung auf ein Wunder …
    Mit dem Tod Dr. Pluchins in Mulatschka endete die Jagd des verkleideten Karpuschin. Wütend fuhr er zurück nach Oleneksskaja Kultbasa, beschimpfte Marfa Babkinskaja als Hure, weil sie mit einem der jungen Ärzte im Krankenhaus zärtliche Blicke tauschte, hieb in ohnmächtiger Hilflosigkeit auf den Tisch und brüllte:
    »Ist das ein Leben! Zum Teufel mit allem! Gut reden haben sie in Moskau! Finden Sie Heller! Das sagen sie so, als sei ein Hund entlaufen, und man brauche nur zu pfeifen: Komm her, mein Hündchen, komm her, mein Kleiner … ein Töpfchen mit Leber wartet auf dich. Hebe die Pfötchen, mein Süßer. Ein warmes Plätzchen ist am Öfchen. Komm

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