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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Widerwillen schiefem Mund ein Glas warme Milch schlürfte, daß sein Weibchen Olga Jelisaweta sich schnell getröstet habe, mit einem Diplomingenieur der staatlichen Physikakademie. Verreist waren sie zusammen, irgendwohin zum Wintersport. »Wie die Turteltäubchen sind sie«, wußte die geschwätzige Milchfrau zu erzählen. »Händchen halten sie, und die Blicke, o je! Und das in ihrem Alter! Schamrot könnte man werden vor dem eigenen Geschlecht …«
    Karpuschin seufzte, ließ die Milch stehen und ging. Auch das ist vorbei, dachte er. Natürlich, ich bin ja tot. Wer hindert Olgaschka daran, einen anderen zu lieben? Ist es nicht ihr gutes Recht, wenn sie sich noch rüstig fühlt? Nur etwas mehr Pietät hätte ich erwartet. Noch bin ich kein Jahr tot. Man soll's nicht glauben! Konnte nicht warten, das Luder, und hebt die Witwenröcke hoch! Das ist ein unschöner Zug von ihr. Karpuschin hatte so etwas von Olga nicht erwartet. Aber so ist es … Erst nach dem eigenen Tod lernt man seine Umwelt richtig kennen. Nur haben die wenigsten die Möglichkeit, es wie Karpuschin zu beobachten.
    Der dritte Spaziergang führte ihn zu einer Frau, die er vor drei Jahren schon einmal verhaftet hatte, weil von ihr bekannt wurde, sie habe aus den Karten gesehen, daß sich die oberste Sowjetführung langsam, aber stetig, selbst umbringen würde. Gute Genossen hatten es dem KGB weitergetragen, und so wurde damals die alte Waschfrau Alexandra Polansky verhaftet und zu Karpuschin gebracht. Er hatte ihr nichts beweisen können, hatte sie verwarnt und wieder weggeschickt.
    Jetzt ging Karpuschin zu ihr. Er sah sich mehrmals um, ehe er das alte Haus im sogenannten Tatarenviertel Moskaus betrat und dreimal an die Tür der Alten klopfte, wie es üblich war, damit man eingelassen wurde. So wenigstens hatte man es ihm damals erzählt.
    »Mein Söhnchen«, sagte die Alte, als Karpuschin auf einem zerschlissenen Sessel saß und seinen Wunsch vorgebracht hatte, »mein liebes Kindchen, ich lege keine Karten mehr. Die Karten lügen! Aber in der Hand jedes Menschen liegt sein Schicksal. Gib mir deine linke Hand her … Aber leg zuerst fünf Rubelchen auf den Tisch. Es sind böse Zeiten, Söhnchen. Alles wird teurer. Früher kostete es nur drei Rubel, aber weißt du, wie teuer man jetzt das Fleisch bezahlt? Und ein Kopftuch? Und die Schuhe? Und schlecht sind sie … die Sohlen fallen ab, wenn es regnet. Und alles so teuer. Fünf Rubelchen …«
    Karpuschin nickte, griff in die Tasche seines alten Rockes und legte einen Zehnrubelschein auf den Tisch. »Für beide Hände, Mütterchen«, sagte er. »Vielleicht steht in der rechten auch was.«
    Wer ein wenig mitfühlt, liebe Freunde, muß Mitleid mit dem armen Kerl haben, der ein braver Kommunist ist, ein Generalmajor der Roten Armee sogar, und der doch in diesen Augenblicken so tief russisch fühlt und im Aberglauben der Jahrhunderte schwamm, der auch bei ihm nur durch Erziehung überdeckt war.
    »Du bist ein böser Mensch, du Bengel!« sagte das alte Mütterchen und betrachtete Karpuschins offene Handflächen. »Ein ganz böser Mensch! Und ein Dummkopf dazu! Dein Charakter stinkt wie Jauche, deine Seele ist eine Kloake und dein Hirn ist ein Misthaufen! Aber das alles schadet nichts. In deinen Händen steht, daß du mit diesen Eigenschaften ein großer Mann werden wirst und dann bald stirbst.« Sie blickte auf und starrte in Karpuschins ängstliche Augen. »Wie alt bist du, Dummkopf?«
    »Fast sechzig …«
    »Schon?« Die Alte schob die offenen Hände Karpuschins weg, als stänken sie nach saurer Milch. »Dann hast du nur noch wenig Zeit, alles zu ordnen. Sieh dir deine Hand an. Die Lebenslinie bricht plötzlich ab. Abgeschnitten ist sie. Man wird dich vielleicht aufknüpfen, Söhnchen! Bist du ein Gauner?«
    »Nein. Ich handle mit Holz«, sagte Karpuschin heiser.
    »Wie's auch sei … es geht zu Ende, Freundchen, plötzlich. Es wird einer kommen und dir das Licht ausblasen.« Die Alte erhob sich und schob ihm den Zehnrubelschein wieder hin. »Nimm ihn!« sagte sie und schlug mit beiden Händen ein Kreuz über Karpuschins bebendes Haupt. »Kauf dafür einige Kerzen und opfere sie dem heiligen Dimitrij. Und geh … Du stehst näher an der Grube als ich. Und ich bin schon achtzig …«
    Es war ein schlechter Tag für Karpuschin, das muß man einsehen. Er kam niedergeschlagen aus dem Haus der Alten, fuhr mit der Untergrundbahn zum Hotel Ukraine und schloß sich auf seinem Zimmer ein.
    Unsinn ist es, dachte er

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