Liebesnächte in der Taiga
…«
Aber was nutzte alles Klagen und Toben? Irgendwo in der grenzenlosen Weite der Taiga saß Pawel Konstantinowitsch Semjonow, und für Karpuschin gab es kein Leben mehr, ehe er nach Moskau melden konnte: Franz Heller-Semjonow ist unschädlich gemacht.
Dieser Gedanke hatte für Karpuschin etwas Faszinierendes. Vor allem, wenn er allein in seinem Zimmer saß und Marfa Babkinskaja mit den Ärzten schäkerte, daß man es durch drei Wände hindurch hören konnte, braute sich in Karpuschins Hirn ein böser Plan zusammen. Ein regelrechtes Rezept war es, und nicht einmal ein dummes … Es würde ein schmackhaftes Süppchen geben, das man in Moskau schmatzend löffeln konnte.
Man nehme:
Einen Mann von der Größe Semjonows, mit blonden Haaren natürlich.
Diesem Mann gebe man einen Schuß ins Herz. Dann mache man sein Gesicht unkenntlich, schneide ihm die Haare kurz, lege ihn irgendwo im Wald auf die Erde, hole Miliz und Militär, lasse ihn fotografieren und schicke die Bilder nach Moskau:
»Ich melde, Genosse Marschall, daß der Spion Heller-Semjonow von mir überrascht und erschossen wurde. Die Volkswut war so groß, daß man die guten Genossen nicht daran hindern konnte, dem Feind mit den Stiefeln den Kopf zu zermalmen. Erwarte weitere Befehle. Karpuschin, Generalmajor der Roten Armee.«
Ja, so konnte man es machen! Ein schöner Plan! Ein einfacher Plan. Wer spricht hier von Moral, Genossen? Es geht um den inneren Frieden der Nation!
Aber Karpuschin – sosehr ihn dieses Rezept reizte – schreckte doch zurück, das Süppchen zu kochen. Nicht weil er Hemmungen hatte, einen Mann zu finden, der Semjonow im Körperbau glich, nicht weil er zögerte, diesen Mann zu erschießen … Was geschieht, dachte Karpuschin, wenn irgendwo doch noch der wahre Semjonow auftaucht, denn kein Zufall ist so dumm, daß er nicht wahr werden könnte. Nur das allein war der Grund, daß ein unschuldiger, braver Genosse aus Oleneksskaja Kultbasa weiterleben durfte … vielleicht war's ein Zimmermann, der gerade ein Dach richtete, oder ein Holzfäller oder ein Flugplatzkehrer. Wer es auch war, der Mann hatte Glück, daß Karpuschin so weit in die Zukunft dachte und zögerte, eine Leiche in Moskau zu präsentieren.
Statt dessen flog Karpuschin selbst nach Moskau. Er ließ Marfa Babkinskaja am Olenek allein und sagte zum Abschied giftig: »Mein Täubchen, vergiß nicht, daß es Ärzte sind und keine Schmiede. Heilen sollen sie, aber nicht immerzu hämmern …« Beleidigt warf die Babkinskaja die Tür zu, und Karpuschin reiste über Krasnojarsk in die Hauptstadt.
Marschall Malinowskij allerdings war anderer Ansicht als Karpuschin, und die Unterredung im Kreml war kurz. Auf die Bitte Karpuschins, ihn wieder zurückzuverwandeln in einen Generalmajor und ihn zu Olga, seinem Frauchen, zu lassen, erwiderte der Marschall:
»Gewöhnen Sie sich an den Gedanken, daß Sie tot sind, Genosse. Sie wurden erschossen! Das ist amtlich! Sollen wir uns lächerlich machen? Wenn Sie glauben, so nicht leben zu können, bleibt uns nur der Weg, das Urteil wirklich nachzuholen.«
Das war deutlich. Karpuschin verzichtete auf weitere Interventionen, stand stramm und verließ den Kreml durch eine Seitenpforte. Er quartierte sich im Hotel ›Ukraine‹ ein, bewohnte ein kleines Zimmer mit Blick auf den Küchenhof, saß am Fenster und starrte in den Himmel oder lag auf dem Bett und döste traurig vor sich hin.
Dreimal ging er spazieren. Einmal als offizieller Besucher des Kreml, wo er sich der Fremdenführung anschloß und sich erklären ließ, was er selbst viel besser wußte. Dabei traf er General Chimkassy, der aus dem Kremlpalast kam und hinüber zu seiner Dienststelle ging. Karpuschin stellte sich ihm in den Weg, aber Chimkassy erkannte in dem dunkelbärtigen, alten Mann nicht Karpuschin, vor allem, da er keinen Kneifer trug. Vielmehr sagte er nach dem Zusammenstoß: »Passen Sie doch auf, Genosse! Sie rennen mich ja fast um! Eine Brille sollten Sie tragen, wenn Sie so schlecht sehen!« Und Karpuschin nickte stumm und sah Chimkassy nach, bis er im Haus verschwand. Dabei hatte er einen Blick wie ein getretener Hund.
Das zweitemal schlich er um sein eigenes Haus in Moskau, in der Hoffnung, seine Frau Olga zu sehen. Aber Olga war nicht daheim. Die Fenster waren verhängt, die Tür abgeschlossen, und es öffnete ihm auch niemand, als er klingelte und sich als Bettler ausgeben wollte. Im Milchgeschäft an der Ecke erfuhr er dann, als er mit zitterndem und vor
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