Liebesnächte in der Taiga
sein Weibchen ergriff und wegschleppte. »Leute!« stammelte er. »Laßt mich leben! Gut, nehmt sie mit … aber laßt mich leben …« Dann sank er hinter einem Rentierledersessel auf die Dielen und verlor die Besinnung.
In der Post gab es keine Frauen. Hier war die ›Sicherheitsgruppe‹ eingesetzt. Während einer der Brodjagi den Posthalter mit Faustschlägen an die Wand nagelte, zerschnitt der andere alle Telefondrähte und zerstörte den Telegrafen. Dann leerte er die Kasse – armselige 42 Rubel und neun Kopeken waren drin –, pfiff kurz und rannte aus dem Postgebäude. Der zweite folgte. Der Posthalter sank an der Wand in sich zusammen, und das Blut strömte ihm über das Gesicht aus seiner eingeschlagenen Nase und einer Platzwunde am Kopf.
Keine zehn Minuten lang dauerte es – wie geplant –, und in den Schlitten lagen unter den Fellen vierzehn betäubte, meist junge Frauen. Die jüngste war die Lehrerin Anna Petrowna, ein hübsches blondes Mädchen, und es war sicher, daß es später bei der Verteilung Krach um sie geben würde.
Nur dreimal wurde die Stille durch peitschende Schüsse zerrissen. Die beiden Männer, die sich dem Hause Semjonows näherten – es waren der ›Professor‹ und sein Justizminister –, stießen auf Widerstand. Statt daß sich die Tür öffnete und ein süßes Frauchen erschien, nachdem sie höflich angeklopft hatten, ertönte hinter einem geschlossenen Fensterladen eine helle, scharfe Stimme.
»Stoj!« kommandierte die Stimme. »Wer seid ihr? Ich kenne euch nicht.«
»Wir sind eine Abordnung des Holzkombinats Shigansk und möchten den Genossen Popow sprechen!« sagte der ›Professor‹.
»Hier wohnt kein Popow!« sagte die Stimme hinter dem Fensterladen. »Geht, Genossen!«
»Im Gegenteil!« erwiderte der ›Professor‹ und winkte. Der Mann, den man den Justizminister nannte, versuchte mit der Schulter die Tür einzurammen, und da er ein schwerer Mann war, bebte die Tür in den Angeln und knackte und krachte erbärmlich.
»Noch einmal!« schrie der ›Professor‹ mit lauter Stimme. »Ich werde dir zeigen, mein Mädchen, wo die besten Stämme wachsen!«
In diesem Augenblick fiel der erste Schuß. Ludmilla hatte den Lauf des Tokarev-Gewehrs durch einen Schlitz des Fensterladens geschoben und schoß auf die Gestalt, die sich erneut gegen die Haustür stemmte. Sie traf den Mann in die Schulter, und er heulte auf, warf sich herum und flüchtete aus dem Schußwinkel.
»So ein Aas!« rief der kleine ›Professor‹. »So ein verfluchtes Aas! Zum Schlitten, Josef!« Er riß einen Revolver aus seinem Bärenpelz und schoß zweimal gegen den Fensterladen. Das Holz splitterte, eine Scheibe klirrte und irgendwo im Innern des Hauses schlugen die Kugeln in die Wand. Ludmilla hatte sich sofort, nachdem sie geschossen hatte, auf die Dielen geworfen, und als der Laden splitterte und das Glas zersprang, heulten die Geschosse hoch über sie hinweg. Nur ein Regen von Glas kam auf sie herunter und überschüttete ihre Haare.
Das war alles. Nach zehn Minuten rasten die fünf Schlitten, schwer beladen, aus Nowo Bulinskij hinaus und verschwanden im dichten Wald.
Es war Frolowski, der ›Dreieckige‹, der Alarm schlug. Heulend vor Wut rannte er in die Kirche, stieß den verblüfften Popen, Väterchen Alexeij, zur Seite, ergriff das Glockenseil und läutete Sturm. »Was soll's?« schrie Väterchen Alexeij in den Lärm hinein. »Du entweihst die Kirche, du Irrer! Hinweg, hinweg mit dir! Laß die Glocke los!«
»Überfall!« brüllte Frolowski. »Man hat uns überfallen. Unsere Weiber haben sie gestohlen! Den Posthalter haben sie halb totgeschlagen. Schamow ist jetzt noch besinnungslos. Überfall! Überfall! Unsere armen Frauchen …«
Und er zog am Glockenseil, und die Glocke schrie in den kalten Tag, daß es sogar die Männer in der Sowchose Munaska hörten, vor die Silos traten und lauschten.
»Entweder brennt es, oder die Lena tritt über die Ufer«, sagte Schliemann. »Rufen wir bei der Post an.«
Aber die Post meldete sich nicht. Tot war die Leitung. Nicht einmal ein Summen war zu hören. Aber die Glocke läutete noch immer, als hinge ein Verrückter am Seil.
Mit ihren Schlitten, mit Pferden und Rentieren, jagten die Männer von Nowo Bulinskij zurück in ihre kleine Stadt. Und je näher sie kamen und je lauter sie den Klageruf der Glocke hörten, desto sicherer wußten sie, daß etwas Schreckliches über Nowo Bulinskij hereingebrochen war.
Gegen Abend erreichten die Männer von
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